Die Chronik des deutschen Dramas: T. 1907-1910

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Oesterheld, 1921 - German drama
 

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Page 47 - Auch der gewaltigste der Knechte, der Knecht Gottes, kann nicht bestehen wider den wirklichen Herrscher von Gottes Gnaden. Und in allen Krämpfen seines Mitleids erschuf der gekrönte Bauernsohn nur Mord und Greuel: der geborene Kaiser kann wahrhaft gütig sein, kann auch — jetzt vom Schicksal reingebrannt — beglücken. Dieser Konflikt gelangt nun zum Ausdruck in der Weise, daß Gregor und Heinrich nichts von der charakteristischen, halb unbewußten, triebgetragenen Art genialer Menschen haben,...
Page 133 - Ninons erster Liebhaber, jetzt ganz Gottergebenheit und Tugend, sein und Ninons Sohn, ganz die verwirrte und in den Tod flüchtende Unschuld, und schließlich Ninon „die" Buhlerin, die trotz allen edlen Wallungen ihrer Schuld nicht entgehen kann. Denn nochmals sei es gesagt : Ernsts Technik, seine gläsernen Menschen, die stets selber zuschauen, wie der Mechanismus des Ernstschen Sittengesetzes in ihnen abläuft — diese rigorose Technik ist nur möglich als Abdruck einer ebenso rigorosen, brutal...
Page 35 - Bläue löst sie sich auf. Ihr Spiegel zerspringt. Und sie zerbricht mit ihm. Die Frau von Shalott stirbt. Dies Gedicht gibt mit der rhythmisch steigenden, farbenstarken Kraft seiner Worte ein höchst sinnliches, fühlbares und somit vollendet künstlerisches Bild von jener vita contemplativa, die durch eine unerfüllbare Sehnsucht ins Tatenreich hinüber Macht und Untergang empfängt.
Page 152 - Junker aus östlichen Grenzdistrikten und ist der preußische Peer Gynt. Der preußische, das heißt: er steht nicht zwischen Fels und Meer wie der Norweger, sondern zwischen den Rübenfeldern und den nüchtern korrekten Häusern einer posenschen Landstadt; er hat nicht das zuchtlose wilde Blut eines Bauernsohnes, sondern die ganze äußere Formbeherrschung und die zersetzende Intelligenz eines geborenen Edelmannes; er nährt seine Phantasie nicht mit den Spukgestalten nordischer Märchen, sondern...
Page 153 - ... ein Narr, ein Träumer, ein Weiser wie Parcival, wie Don Quixote, wie Hamlet — und ein preußischer Junker aus der Provinz Posen. Mit dem Staat will Joachim von Brandt nichts zu tun haben: „weil ich nicht weiß, wer das ist" — „man tritt ein Rad, damit es sich dreht, und muß es treten, weil es sich dreht, da wird einem ja schwindlig im Kopf." Er kennt ihn nicht, aber es reizt ihn, dies unbekannte Wesen zu necken: vielleicht kommt es aus seiner dunklen Höhle, zeigt sich im Licht. Er...
Page 153 - ... da - — biegen sie wieder die Spitze um und löschen den Gegensatz aus. Ein Regierungsrat, dem alle Weisheit Bülows von den Lippen fließt, eröffnet dem Bürgermeister, der das Verfahren gegen Brandt leitet: der Regierung sei wichtiger als ihr Recht die Vermeidung jedes Skandals; das Rebellentum dieses im polnischen Lande so wichtigen deutschen Grundherrn sei durch Nachgeben und Ignorieren zu entwaffnen; alles Geschehene habe sich als bloßes Mißverständnis aufzuklären! Und so geschiehts....
Page 126 - Ja, eine Szene des vorletzten Aktes: da die drei, ehe sie ins letzte Verderben gehen — unwiderstehlich getrieben, furchtbar geweiht — einander zum Abschied küssen, ihrer Liebe treu, aber treuer bis in den Tod dem Gesetz ihres Stolzes — „den breiten Schattenweg ins düstre Tal muß einer von uns gehn. Wer? Sterne wissen 's. Aber Todfeindschaft tilgt Liebe nicht. Ich küsse dich, mein Bruder" diese Szene ist ergreifend groß.

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