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Was könnte oder sollte wohl unter dem Worte tepidus anders verstanden werden, als ein Gleichgültiger, der weder Falt noch warm ist?

§. 165.

Mißgunst, Haß und Feindschaft - ihre Unvertragsamkeit mit der Pflicht zur Bruder - Liebe.

Noch viel weniger, als die Gleichgültigkeit, können Mißgunst, Haß und Feindschaft neben dem Gebote, oder neben der Pflicht der Bruder- Liebe bestehen. Denn die Brüder= Liebe, welche uns befohlen ist, stets gegen alle Menschen zu haben, ist eine wirkliche gute Gesinnung, verbunden mit der Bereitwilligkeit, all jene Pflichten gegen einen jeden der Mit-` menschen zu erfüllen, welche in Beziehung auf ihn erfüllet werden sollen, jenen Verhältnissen gemäß, worin wir mit ihm so eben stehen mögen. Davon, d. i. von dieser guten Gesinnung sowohl, als auch von dieser Bereitwilligkeit sind Mißgunst, Haß und Feindschaft das gerade Gegentheil, als wirk= liche, bösartige Gesinnung, verbunden mit der Bereitwilligkeit jeder Art von Pflicht-Verlegung. Die Unvertragsam= keit dieser Lestern mit dem Gebote, oder mit der Pflicht der Bruder Liebe liegt demnach an dem Tage.

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Gleichwie nun das Gebot dringend, und die Pflicht wichtig und groß ist zur Bruder - Liebe, und zur unablåssiigen Forterhaltung derselben bei uns; so ist auch auf der andern. Seite das Gebot dringend, und die Pflicht groß und wichtig dazu, das Geger.theil der Bruder Liebe nie bei uns aufkommen zu lassen. Daher Christi eigenthümlicher Auftrag Matth. 5, 44:

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Ich aber fage euch: Liebet eure Feinde! Thut Gutes denen, welche euch hassen, und bethet für eure Verfolger und Verläumder! Damit ihr seyd Kinder, würdige Ab= kömmlinge eures Vaters, der im Himmel ist u. s. w.

Auch die Aussprüche des hl. Johannes I Sendschr. 3, 14 u. 15. paffen hieher, wo dieser Apostel sagt: Wer nicht liebet, bleibt im Tode. . . Wer seinen Bruder

haffet, der ist ein Todschläger — ein Mörder. Ihr wisset aber, daß die Lodschläger das Reich Gottes nicht in Besig nehmen werden.

Die Gesinnung des Apostels Paulus, diesen Punct betreffend, ist ebenfalls bekannt aus seinem Sendschreiben an die Röm. 12, 16 21. wo er fagt:

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,,Dünket euch nicht selbst klug! Vergeltet Niemanden ,,Böses mit Bösem! Seyd vielmehr besorgt dafür, Gutes zu thun, nicht allein vor Gott, sondern auch vor allen Menschen! Beobachtet den Frieden mit jedermann, so viel es ,,möglich ist, und es von euch aus geschehen kann (salva

rectitudine morali, versteht sich's). Seyd nicht ängstlich ,,auf euere Selbstvertheidigung bedacht, Geliebte! Behaltet ,,euere Hiße auf einige Zeit zurück, bis ihr im Stande seyd, „mit mehr Kaltblütigkeit über euere Angelegenheiten_nachzu= ,,denken. Denn so steht es geschrieben, und so spricht der ,,Herr: Ich will der Vergelter seyn: Ich will geben einem „jeden nach Gebühr. Du aber besorge dieses: Wenn es dei,,nen Feind hungert, so gieb ihm zu cffen: dürstet es ihn,

fo gieb ihm zu trinken. Wenn du dieses thust; so wirst du „deinen Feind unruhig machen und ihn beschämen über sein ,,Benehmen, 'wie wenn man jemandem glühende Kohlen auf „das Haupt legt. Laß dich also nicht überwinden durch das Böse; sendern besiege du das Böse durch Gutesthun!“

Aus solchen Aeußerungen Christi und seiner Schüler sehen wir leicht so viel heraus, wie sie über Mißgunst, Haß und Feindschaft dachten. Wir selbst, (dies war ihre Gesinnung, diese Punkten betreffend) wir selbst sollen nie etwas von dieser Art in uns aufkommen lassen. Und wenn wir hier 'und da, ohne unser Verschulden, von Andern aus etwas dergleichen erdulden müssen; so sollen wir uns dadurch auf keine Weise dahin bringen lassen, daß wir gleichfalls gegen sie eine bösartige Gesinnung annehmen,

§. 166.

Das moralische Verschulden bei der Gleichgültigkeit, bet Misgunft, Haß und Feindschaft.

Das moralische Verschulden ist bei solchen Zuständen nicht immer und überall gleich in einzelnen Fällen. Schon bei der Gleichgültigkeit kommt es darauf an:

a. wie viel oder wichtig das Gute ist, welches der Gleichgültigkeit wegen, in und bei der Menschheit nicht beför= dert wird;

b. wie viel oder wichtig das Böse ist, welches der Gleichgültigkeit wegen in und bei der Menschheit überhand nimmt ;

c. wie sehr etwa die Gleichgültigkeit schon zu einem blei= benden Character wurde, und welche Schuld der Mensch daran haben mag, daß diese dahin kam.

Bei der Mißgunst kommt es

a. auf die Art und Größe des Uebels an, welches man Andern mit wirklich bösartiger Gesinnung gönnt oder wünscht;

b. auf die Art und Größe des Guten, um welches man Andere mit wirklich bösartiger Gesinnung verkürzet; c. auf die Veranlassung zur bösartigen Gesinnung, oder auf die Ursache, warum man eine bösartige Gesinnung gegen Andere gefasset haben mag;

d. auf den Grad der Höhe, zu welchem die Mißgunst, als bösartige Gesinnung ihrer Intension und Extension nach wirklich gekommen ist;

e. auf die Länge der Zeit, seitdem die Mißgunst, als bôsartige Gesinnung beibehalten und genährt wurde u. s. w.

Bei Haß und Feindschaft hat es in moralischer Hinficht die nämliche Taxation: nur müssen bei Haß und Feindschaft immer auch noch die wirklichen Bekränkungen und Mißhandlungen mit in Anschlag genommen werden, welche mit bösartiger Gesinnung und Verbitterung dem verhaßten Mitmenschen zugefügt wurden.

Alle diese Punkten tragen sehr viel dazu bei, das mora= lische Verschulden entweder zu vermindern, oder zu erhöhen, je nachdem sie sich so oder so finden. Denn wie die gute Gesinnung gegen die Mitmenschen, und die Bereitwilligkeit zur Erfüllung aller Pflichten ihre Erhöhungs - Stufen hat; so hat auch die bösartige, Gesinnung, und die Bereitwilligkeit \ zu jeder Art von Pflicht-Verlegung ihre Erhöhungs - Stufen, der Intension oder Extension nach.

§. 167.

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Außer den bisher angeführten Gegenfäßen der Bruder= Liebe hat es noch so manche andere Sachen, die derselben oft sehr nachtheilig sind. Dahin müssen vorzüglich folgende Dinge

gerechnet werden:

1. verkehrte, ungeregelte Liebe zu finnlichem Wohlleben ; 2. unmäßige Begierde nach Reichthum und irdischen Be= fizungen;

3. unkluge Nachsicht und blinde Gunst gegen Einige; 4. übertriebene Strenge oder Härte gegen Andere;

5. Mißkennung oder auch Vernachläßigung der rechten Ordnung, nach welcher die Pflichten der Bruder-Liebe beforgt werden sollen, u. bgl.

Diese Dinge machen es bei Vielen, daß sie die Pflich= ten der Bruder = Liebe

entweder gar nicht besorgen,

oder sie auf eine verkehrte Art besorgen,

oder denselben wohl gar auf die mannigfaltigste Weise entgegen handeln,

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Zur Bestättigung, daß die so eben angegebenen Puncten der Bruder Liebe oft sehr nachtheilig werden, durchlese man nur so manche Stelle der Evangelien, und erinnere fich_dane= ben an so manche Geschichte des Tages, welche da und dort vor unsern Augen vorgeht; man wird sich bald davon über= zeugen: daß obige Dinge nicht selten eben so verderblich sind für die wahre Bruder - Liebe als Mißgunst, Haß und Feindschaft.

§. 168.

Künstlich ausgedachte Ausflüchte, zur Deckung des Mangels an Bruder - Liebe.

Wer kein Freund der Bruder - Liebe ist, weiß sich gewöhnlich auf allerlei Weise, und auf die kunstreichste Art darüber hinwegzusehen.

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Was soll ich auf Andere viel halten; sie halten auch nichts auf mich? Denn wer ist mir, unter allen MenschenKindern, mit wahrhaft aufrichtigem Herzen gewogen ? Suchen nicht alle blos ihren eigenen Vortheil, wenn sie einem freundlich zu begegnen scheinen?

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Ein jeder sehe nur wacker auf sich, und thue sich Vorsorge, so gut ers kann; dann wird es wenige geben, die der fremden Unterstügung bedürfen! Wie viele sind schon durch fremde Gutherzigkeit, auf welche sie sich zu sehr verließen, im Grunde des. Herzens verdorben worden, oder in den Bettel gekommen? Ich bin Niemanden neidig um das, was er hat. Ich gönne jedem das Seinige. Aber jedermann nach seinem Wunsche oder Verlangen zu geben, oder zu helfen wer kann das? Das ist eine Unmöglichkeit.

Wenn man die Menschen, im Durchschnitte genommen, betrachten will, wie sie wirklich und in der That sind; so wird man unter ihnen eine große Menge antreffen, welche aller Gutherzigkeit ganz unwürdig sind.

wegen ihrem schmählichen Undank, den man so manchmal von ihnen erfahren muß

wegen dem groben Mißbrauche, der nicht selten mit der Gutherzigkeit hier und da gemacht wird;

wegen der eben gar nicht sehr erbaulichen Lebens-Art deren, die sich blos von der Wohlthätigkeit Underer ernähren wollen.

Aeußerungen von dieser Art find nicht allemal ganz ohne Grund. Man kann hier und da Ursache haben zu denselben. Doch ganz zur Entschuldigung, und Befreiung von

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