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die Ultramontanen dazu nicht bereit sind, aber auch die Evangelischen würden das nur als Ausnahme, nicht als Regel sich gefallen lassen. Ähnlich urteilt Friedrich Paulsen 1) in Berlin. Er mißbilligt das Vorgehen der Bremer Lehrer. Ihm ist die Heil. Schrift ein Weltbuch ohnegleichen in Absicht auf den Inhalt und auf die Form, für den Volkslehrer gibt es schlechterdings keine Schriftensammlung, die ihm diese erseßte. Daß sie nicht durch Sammlungen aus der Weltliteratur erseßt werden könne, sei jedem einleuchtend, dessen Sinn nicht durch Vorurteile gehalten werde. Er fordert, daß der Religionsunterricht in Kenntnis und Verständnis des Christentums als geschichtlicher Lebenserscheinung einführe. Er soll historische Kunde von dem Christentum und seinem Glauben, seinen literarischen Denkmälern und Lebensformen, von seinem Wachstum und seinen Revolutionen vermitteln. Aber er fordert mehr, er fordert, daß diese Erkenntnis frommes Leben wecke: religiöses Leben entzünde sich nur an der Anschauung frommen Lebens; für die Formung der sittlichen Anschauung und des sittlichen Willens können wir die biblischen Schriften nicht entbehren. Das sind Grundfäße, die wir aus solchem Munde mit Freuden hören; sie sind für die preußischen Volksschulen durch die allgemeinen Bestimmungen des Ministers Falk als maßgebend aufgestellt und soweit mein Blick reicht, ist man bemüht, sie auszuführen. Keligiöses Leben, frommen Glauben zu erwecken, nicht die absolute Wahrheit gewisser Glaubenssäße zu beweisen, ist Aufgabe der Volksschule. Auch Paulsen hofft auf einen für alle Konfessionen gemeinsamen biblisch-historischen Unterricht über das Christentum; aber wer in den harten Gegensäßen des Lebens steht, empfindet die entgegenstehenden Schwierigkeiten mehr, als wer es von der idealen Höhe der Wissenschaft aus betrachtet.

Auch die geistliche Schulaufsicht ist etwas, das nach Paulsens Ansicht bald verschwinden wird. Ohnehin haben wir von zahlreichen Lehrerversammlungen oft genug den Ruf gehört: Fort mit geistlicher Schulaufsicht! Haben wir denn noch geistliche Schulaufsicht? Durch das Schulaufsichtsgesetz von 1872 ist dies Privilegium der Geistlichen

1) Friedrich Paulsen: Das deutsche Bildungswesen in seiner geschichtlichen Entwicklung. Leipzig 1906. Seite 174 ff.

in Preußen aufgehoben, der Staat ernennt zu Orts- und Kreisschulinspektoren, welche er dafür geeignet hält. Wenn es also noch Geistliche gibt, welche dieses Amt haben, so haben sie es nicht, weil sie Geistliche sind, sondern weil der Staat sie für geeignet hält. Der Ruf bedeutet also, daß der Geistliche grundsäßlich von der Schulaufsicht ausgeschlossen sein soll, auch dann, wenn er dafür geeignet ist. Und so ist er allerdings gemeint; man will nicht nur die katholischen Pfarrer fern halten von der Schule, sondern auch die evangelischen, weil man sie als rückständig und beschränkt, als unfähig für dieses Amt beurteilt. Und das ist kein billiges Urteil. Ein Theologe ist vielleicht Jahre lang Rektor einer Volksschule, dann Lehrer an einem Lehrerseminar gewesen, in beiden Stellungen hat er sich bewährt. Dann tritt er über in das Pfarramt. Und dann soll er unfähig sein, Schulinspektor zu werden? Um dieses Vorurteils willen sollen die Schulen seiner Förderung beraubt werden? Welche törichte Zumutung! Gewiß, niemand soll Schulinspektor werden, der nicht befähigt ist. Dazu gehört, daß er das Rektorexamen bestanden, daß er jahrelang praktisch an der Volksschule gearbeitet hat. Man mache nur solche Männer zu Schulinspektoren, wenn man sie hat. Man befördere also alle Rektoren zu Schulinspektoren, die sich irgendwie eignen. Aber der Mangel der akademischen Bildung macht sich doch oft fühlbar; Theologen, welche sich dem Schuldienste widmen, sind meistenteils dem seminaristisch gebildeten Schulinspektor überlegen; auch wenn sie nachher Pfarrer geworden sind. Man hat auch Philologen in die Schulinspektion berufen, aber diese haben sich weniger bewährt; das Oberlehrerexamen gibt keine Kenntnis der Volksschule, ihrer Aufgabe und ihrer Methoden. So wird man für absehbare Zeit auf die Pfarrer nicht verzichten können, ohne die Schule zu schädigen. Und wer soll denn Ortsschulinspektor sein, wenn nicht der Pfarrer? In Städten, wo vier oder mehr Lehrer sind, kann man den Hauptlehrer zum Ortsschulinspektor machen; aber auf dem Lande, wo ein oder zwei Lehrer sind? Ich weiß die Antwort: da soll gar kein Ortsschulinspektor sein, da soll es genug sein, wenn der Kreisschulinspektor jährlich einmal kommt. Und das ist der Sinn jenes Rufes: Fort mit der Schulaufsicht! Dagegen muß ich sagen, auf eine zwanzigjährige Erfahrung in der Schule gestüßt,

das ist im Interesse der Schulen unmöglich. Wohl weiß ich, es gibt treue, erfahrene Lehrer, die bedürfen keiner Ortsschulaufsicht. Es gibt aber auch junge, unerfahrene Lehrer, die nicht leicht in der Schule fertig werden, die Mißgriffe gegenüber den Eltern machen; die sind zu beklagen, wenn sie keinen erfahrenen Ortsschulinspektor haben. Und ebenso die Kinder. Darum muß die Ortsschulaufsicht bleiben; sollte man sie abschaffen, man wird sie nach kurzer Zeit wiederherstellen im Interesse der Lehrer und der Schule. Man hat alles getan, sie den Pfarrern zu verleiden, sie haben Arbeit, Verdruß und Verhöhnung dafür ertragen müssen. Sie würden gerne das dornenvolle Amt aufgeben; was sie hält, ist die Pflicht gegen die Kinder ihrer Gemeinde.

Über den Stoff und die Methode des Religionsunterrichts haben die Erzieher des 19. Jahrhunderts sehr verschiedene und zum Teil neue Vorschläge gemacht, die noch keineswegs zum Abschluß gekommen sind. Es ist eine unbestreitbare Tatsache, daß die nachwachsende Jugend sich seit längerer Zeit nicht nur der Kirche, sondern auch dem Christentum mehr entfremdet. Diese bedauerliche Tatsache hat ihren Grund in vielerlei Umständen; da ist es eine naheliegende Frage, ob einer dieser Gründe nicht in der unrichtigen Art des Religionsunterrichts liege. Daß eine Verbesserung desselben notwendig sei, wird nicht bestritten; viele fordern eine völlige Reform, da ist es ein überaus dankenswertes Unternehmen, daß Professor Rein Stimmen zur Reform des Religionsunterrichts gesammelt hat.1) 24 angesehene Pädagogen, Professoren und Oberlehrer, Pfarrer und Volksschullehrer äußern sich in kurzen Säßen, wie der Religionsunterricht in der Volksschule und im Konfirmationsunterricht, wie im Lehrerseminar und in der gelehrten Schule zu gestalten sei. Bisher haben sich namhafte Männer der linken und mittleren Richtung ausgesprochen; es wäre ein Gewinn, wenn im dritten Hefte auch Pädagogen der Rechten zu Wort kämen. Ich hebe nur die Probleme hervor, welche bei der Volksschule und dem Konfirmationsunterricht in Betracht kommen. Alle sind einverstanden, daß mechanisches Einlernen unverstandener Säge kein Religions

1) W. Rein: Stimmen zur Reform des Religionsunterrichts. Heft I. 1904. 54 Seiten 75 Pf. Heft II: 1906. 56 Seiten 80 Pf. Langensalza. Hermann Beyer & Söhne.

unterricht, sondern Abtötung des religiösen Lebens ist. Zweck des Religionsunterrichts ist Erweckung der frommen Gesinnung; das geschieht nur durch Anschauung. Einige heben mit Recht hervor, daß die Persönlichkeit des Lehrers dabei von allergrößter Bedeutung sei; der Lehrer selbst muß fromm, vom Geiste Jesu Christi erfüllt sein, sonst nüßt sein Unterricht wenig. Das ist so selbstverständlich, daß manche es wohl nur aus diesem Grunde nicht besonders ausgesprochen haben. Ich stelle an den Lehrer noch eine Forderung, die keiner ausgesprochen. Beim Religionsunterricht soll weder der Schüler noch der Lehrer ein Buch in Händen haben. Nur das Bibellesen in der Oberklasse bildet davon eine Ausnahme. Sonst soll der Lehrer die biblischen Geschichten, die Sprüche, die Lieder frei vortragen. Die Schüler sollen an seinem Munde, seinem Angesicht hängen, damit geistiges Leben von Person zu Person ströme. Durch das Buch wird das geistige Leben gehindert, der Unterricht leicht in einen geistlosen Wortkram verwandelt. Die biblische Historie, das Spruchbuch, das Gesangbuch, der Katechismus gehören nicht in die Religionsstunde, sondern sollen nur der häuslichen Wiederholung dienen. Ich weiß, damit stelle ich hohe Anforderungen an das Wissen und an die geistige Tätigkeit des Lehrers; aber nur wer den Stoff so völlig beherrscht, wer nicht das Buch, sondern die Augen der Kinder vor sich hat, der redet lebendig, wirksam, eindringlich; der spannt nicht nur die Aufmerksamkeit der Kinder an, sondern wirkt auf ihr Herz. Alle Pädagogen sind einverstanden, daß alle christliche Frömmigkeit zusammenhänge mit der Person Jesu, darum stellen alle die Geschichte Jesu in den Mittelpunkt des Unterrichts; seine Vorgeschichte im Alten Testament, seine Auswirkung in den Aposteln, in der Gemeinde, in der Reformation machen nur sein Wesen deutlicher. Dieses Einverständnis ist ein großer, hoffnungsvoller Fortschritt. Bei weitem die meisten verlangen, daß mit der Geschichte Jesu begonnen werde, daß die Geschichte des Alten Testaments nicht vor dem Neuen bevorzugt werde. Nur Professor Rein ist der Meinung, daß die biblische Geschichte erst im 5. Schuljahr beginne und zwar mit dem Alten Testament. Erst im 6. Schuljahr, d. h. wenn die Kinder zwölf Jahr alt find, sollen sie die Geschichte Jesu kennen lernen. Das kann doch nur so gemeint sein, daß sie dann erst diese Geschichte zusammenhängend

kennen lernen. Mir scheint es unmöglich, daß die Schule 5 Jahre lang Weihnachten, Ostern, Pfingsten feiert, ohne die Kinder mit den Festtatsachen bekannt zu machen. Sodann sind alle einverstanden, die biblische Geschichte soll den Kindern die Anschauung Lebendiger Personen vermitteln; denn nur die Anschauung wirkt auf das Herz, weckt Bewunderung, Ehrfurcht, Vertrauen. Auch diese Übereinstimmung ist ein wertvoller Fortschritt. Besonders soll die Person Jesu so vorgestellt werden, daß sein Sinn, Demut, Gottvertrauen, Menschenliebe in ihnen geweckt wird. Dabei hat mir besonders gefallen, was Lehrer Zittig in Würzburg fordert: man solle das Geheimnisvolle, Wunderbare in der Person Jesu nicht auflösen. Jesus bleibt ein Geheimnis, das über alle menschlichen Vorstellungen hinausreicht und die Kinder haben dafür oft ein lebendigeres Gefühl als manche Erwachsene. An die Geschichte soll sich erläuternd Spruch und Lied anschließen. Herrscht bis hierher Einverständnis, so beginnt der Widerstreit der Ansichten, sobald man auf den Katechismus kommt! Einigen ist der Katechismus ein für uns unverdauliches dogmatisches Kompendium, welches keinesfalls in die Schule gehört; mag der Pfarrer ihn treiben, wenn er es für nötig hält; die Volksschule soll mit der biblischen Geschichte sich begnügen. Andere sind der Meinung, daß die Kinder abschließend zu einer populären Weltanschauung und Sittenlehre geführt werden sollen; das aber gehöre in den Konfirmandenunterricht; wieder andere meinen, auch die Volksschule solle den Katechismus, wenigstens die drei ersten Hauptstücke Luthers treiben. Da scheint eine Verständigung schwer möglich. Immerhin ist nicht zu verkennen, daß die Wertschäßung des Katechismus zunimmt. Auch die, welche den Katechismus verwerfen, werden zugeben, daß die Kinder schon in der biblischen Geschichte die zehn Gebote, das Gebet des Herrn und die Einsehung der beiden Sakramente lernen, sie werden auch einverstanden sein, daß die Schüler die Summe des christlichen Glaubens in Form des kirchlichen Symbols lernen. Da haben wir also die fünf Hauptstücke der alten evangelischen Katechismen, wenn auch ohne jede Erklärung. Ebenso wird man aus praktischen Gründen fordern, daß die Schüler die Wahrheiten, welche sie in der biblischen Geschichte angeschaut, schließlich übersichtlich zusammenfassen; denn nur, was ich zusammenfasse, Theologie der Gegenwart. I. Jahrg. Heft 4.

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