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die Mitglieder der beiden Kammern werden nicht gewählt. Art. 75. Die Kammern werden durch den König regelmässig im Monat November jeden Jahres und ausserdem, so oft es die Umstände erheischen, einberufen. Art. 76. Die Eröffnung und die Schliessung der Kammern geschieht durch den König in Person oder durch einen dazu von ihm beauftragten Minister in einer Sitzung der vereinigten Kammern. Beide Kammern werden gleichzeitig berufen, eröffnet, vertagt und geschlossen. Wird eine Kammer aufgelöst, so wird die andere gleichzeitig vertagt. Art. 77. Jede Kammer prüft die Legitimation ihrer Mitglieder und entscheidet darüber. Sie regelt ihren Geschäftsgang durch eine Geschäfts-Ordnung und erwählt ihren Präsidenten, ihre VicePräsidenten und Schriftführer. Beamte bedürfen keines Urlaubs zum Eintritt in die Kammer. Durch die Annahme eines besoldeten Staats-Amtes oder einer Beförderung im Staatsdienste verliert jedes Mitglied einer Kammer Sitz und Stimme in derselben und kann seine Stelle nur durch eine neue Wahl wieder erlangen. Niemand kann Mitglied beider Kammern sein. Art. 78. Die Sitzungen beider Kammern sind öffentlich. Jede Kammer tritt auf den Antrag ihres Präsidenten oder von 10 Mitgliedern zu einer geheimen Sitzung zusammen, in welcher dann zunächst über diesen Antrag zu beschliessen ist. Art. 79. Keine der beiden Kammern kann einen Beschluss fassen, wenn nicht die Mehrheit ihrer Mitglieder anwesend ist. Jede Kammer fasst ihre Beschlüsse nach absoluter Stimmenmehrheit, vorbehaltlich der durch die Geschäftsordnung für Wahlen etwa zu bestimmenden Ausnahmen. Art. 80. Jede Kammer hat für sich das Recht, Adressen an den König zu richten. Niemand darf den Kammern oder einer derselben in Person eine Bittschrift oder Adresse überreichen. Jede Kammer kann die an sie gerichteten Schriften an die Minister überweisen und von denselben Auskunft über eingehende Beschwerden verlangen. - Art. 81. Eine jede Kammer hat die Befugniss, Behufs ihrer Information Kommissionen zur Untersuchung von Thatsachen Art. 82. Die Mitglieder beider Kammern sind Vertreter des ganzen Volkes. Sie stimmen nach ihrer freien Ueberzeugung und sind an Aufträge und Instructionen nicht gebunden. Art. 83. Sie können weder für ihre Abstimmungen in der Kammer, noch

zu ernennen.

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für ihre darin ausgesprochenen Meinungen zur Rechenschaft gezogen werden. Kein Mitglied einer Kammer kann ohne deren Genehmigung während der Sitzungsperiode wegen einer mit Strafe bedrohten Handlung zur Untersuchung gezogen oder verhaftet werden, ausser wenn es bei Ausübung der That oder binnen der nächsten 24 Stunden nach derselben ergriffen wird. Glei che Genehmigung ist bei einer Verhaftung wegen Schulden nothwendig. Jedes Strafverfahren gegen ein Mitglied der Kammern und eine jede Untersuchungs- oder Civilhaft wird für die Dauer der Sitzung aufgehoben, wenn die betreffende Kammer es verlangt. Art. 84. Die Mitglieder der ersten Kammer erhalten weder Reisekosten, noch Diäten. Die Mitglieder der zweiten Kammer erhalten aus der Staatskasse Reisekosten und Diäten nach Maassgabe des Gesetzes. Ein Verzicht hierauf ist unstatthaft.

Titel VI. Von der richterlichen Gewalt. Art. 85. Die richterliche Gewalt wird im Namen des Königs durch unabhängige keiner andern Autorität als der des Gesetzes unterworfene Gerichte ausgeübt. Die Urtheile werden im Namen des Königs ausgefertigt und vollstreckt. Art. 86. Die Richter werden vom Könige oder in dessen Namen auf ihre Lebenszeit ernannt. Sie können nur durch Richterspruch aus Gründen, welche die Gesetze vorgesehen und bestimmt haben, ihres Amtes entsetzt, zeitweise enthoben oder unfreiwillig an eine andere Stelle versetzt und nur aus den Ursachen und unter den Formen, welche im Gesetze angegeben sind, pensionirt werden. Auf die Versetzungen, welche durch Veränderungen in der Organisation der Gerichte oder ihrer Bezirke nöthig werden, findet diese Bestimmung keine Anwendung. Art. 87. Den Richtern dürfen andere besoldete Staatsämter nicht übertragen werden. Ausnahmen sind nur auf Grund eines Gesetzes zulässig. Art. 88. Die Organisation der Gerichte wird durch das Gesetz bestimmt. Art. 89. Zu einem Richteramte darf nur der berufen werden, welcher sich zu demselben nach Vorschrift der Gesetze befähigt hat. Art. 90. Gerichte für besondere Classen von Angelegenheiten, insbesondere Handels- und Gewerbegerichte, sollen im Wege der Gesetzgebung an den Orten errichtet werden, wo das Bedürfniss solche erfordert. Die Organisation und Zuständigkeit der Handels-, Gewerbe- und

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Militärgerichte, das Verfahren bei denselben, die Ernennung ihrer Mitglieder, die besonderen Verhältnisse der letzteren und die Dauer ihres Amtes werden durch das Gesetz festgestellt. - Art. 91. Die noch bestehenden beiden obersten Gerichsthöfe sollen zu einem einzigen vereinigt werden. Art. 92. Die Verhandlungen vor dem erkennenden Gericht in Civil- und Strafsachen sollen öffentlich sein. Die Oeffentlichkeit kann jedoch durch ein öffentlich zu verkündendes Urtheil ausgeschlossen werden, wenn sie der Ordnung oder den guten Sitten Gefahr droht. Auch in Civilsachen kann die Oeffentlichkeit durch Gesetze beschränkt werden. Art. 93. Bei den mit schweren Strafen bedrohten Verbrechen, bei allen politischen Verbrechen und bei Pressvergehen erfolgt die Entscheidung über die Schuld des Angeklagten durch Geschworne. Die Bildung des Geschwornengerichts wird durch ein Gesetz geregelt. Art. 94. Die Competenz der Gerichte und Verwaltungsbehörden wird durch das Gesetz bestimmt. Ueber Competenzconflicte zwischen den Verwaltungs- und Gerichtsbehörden entscheidet ein durch das Gesetz bezeichneter Gerichtshof. Art. 95. Es ist keine vorgängige Genehmigung der Behörden nöthig um öffentliche Civil - und Militairbeamte wegen der durch Ueberschreitung ihrer Amtsbefugnisse verübten Rechtsverletzungen gerichtlich zu belangen.

Titel VII. Von den Staatsbeamten. Art. 96. Die besonderen Rechtsverhältnisse der nicht zum Richterstande gehörigen Staatsbeamten, einschliesslich der Staatsanwälte, sollen durch ein Gesetz geregelt werden, welches ohne die Regierung in der Wahl der ausführenden Organe zweckwidrig zu beschränken, den Staatsbeamten gegen willkührliche Entziehung vom Amt und Einkommen angemessenen Schutz gewährt. Art. 97. Auf die Ansprüche der vor Verkündigung der Verfassungsurkunde etatsmässig angestellten Staatsbeamten soll im Staatsdienst - Gesetz besondere Rücksicht genommen werden.

Titel VIII. Von der Finanzverwaltung. Art. 98. Alle Einnahmen und Ausgaben des Staats müssen für jedes Jahr im Voraus veranschlagt und auf den Staatshaushalts - Etat gebracht werden. Letzterer wird jährlich durch ein Gesetz festgestellt. Art. 99. Steuern und Abgaben für die Staatskasse dürfen nur, soweit sie

in den Staatshaushalts- Etat aufgenommen, oder durch besondere Gesetze angeordnet sind, erhoben werden. Art. 100. In Betreff der Steuern können Bevorzugungen nicht eingeführt werden. Die bestehende Steuergesetzgebung wird einer Revision unterworfen und dabei jede Bevorzugung abgeschafft. Art. 101. Gebühnen können Staats- oder Communal-Beamte nur auf Grund des Gesetzes erheben. — “Art. 102. Die Aufnahme von Anleihen auf die Staatskasse findet nur auf den Grund eines Gesetzes statt. Dasselbe gilt von der Uebernahme von Garantien zu Lasten des Staats. Art. 103. Zu Etatsüberschreitungen ist die nachträgliche Genehmigung der Kammern erforderlich. Die Rechnungen über den Staatshaushalt werden von der Oberrechnungskammer geprüft und festgestellt. Die allge

meine Rechnung über den Staatshaushalt jeden Jahrs, einschliesslich einer Uebersicht der Staatsschulden, wird von der Oberrechnungskammer zur Entlastung der Staatsregierung den Kammern vorgelegt. Ein besonderes Gesetz wird die Einrichtung und die Befugnisse der Oberrechnungskammer bestimmen.

Titel IX. Von den Gemeinden-, Kreis-, Bezirks- und Provinzialverbänden. Art. 104. Das Gebiet des preussischen Staates zerfällt in Provinzen, Bezirke, Kreise und Gemeinden, deren Vertretung und Verwaltung durch besondere Gesetze unter Festhaltung folgender Grundsätze näher bestimmt wird. 1) Ueber die inneren und besonderen Angelegenheiten der Provinzen, Bezirke, Kreise und Gemeinden beschliessen aus gewählten Vertretern bestehende Versammlungen, deren Beschlüsse durch die Vorsteher der Provinzen, Bezirke, Kreise und Gemeinden ausgeführt werden. Das Gesetz wird die Fälle bestimmen, in welchen die Beschlüsse der Gemeinde-, Kreis-, Bezirks- und Provinzial-Vertretung der Genehmigung einer höheren Vertretung oder der Staatsregierung unterworfen sind. 2) Die Vorsteher der Provinzen, Bezirke und Kreise werden von der Staatsregierung ernannt, die der Gemeinden, von den Gemeindemitgliedern gewählt. Die Organisation der Executivgewalt des Staates wird hierdurch nicht berührt. 3) Den Gemeinden insbesondere steht die selbstständige Verwaltung ihrer Gemeinde-Angelegenheiten zu mit Einschluss der Ortspolizei. Den Zeitpunct und die Bedingungen des Ueberganges der Polizeiver

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waltung an die Gemeinden wird das Gesetz bestimmen. Die polizeilichen Functionen können in Städten von mehr als 30000 Einwohnern auf Staatsorgane übertragen werden. 4) Die Berathungen der Provinzial-, Bezirks-, Kreis-, und Gemeinde-Vertretungen sind in der Regel öffentlich. Die Ausnahmen bestimmt das Gesetz. Ueber die Einnahmen und Ausgaben muss jährlich wenig stens ein Bericht veröffentlicht werden. Allgemeine Bestimmungen. Art. 105. Gesetze und Verordnungen sind nur verbindlich, wenn sie zuvor in der vom Gesetze vorgeschriebenen Form bekannt gemacht worden sind. Wenn die Kammern nicht versammelt sind, können in dringenden Fällen, unter Verantwortlichkeit des gesammten Staatsministeriums, Verordnungen mit Gesetzeskraft erlassen werden, dieselben sind aber den Kammern bei ihrem nächsten Zusammentritt zur Genehmigung sofort vorzulegen. Art. 106. Die Verfassung kann auf dem ordentlichen Wege der Gesetzgebung abgeändert werden, wobei in jeder Kammer die gewöhnliche absolute Stimmenmehrheit genügt. Art. 107. Die Mitglieder der beiden Kammern und alle Staatsbeamten haben dem Kö. nige und der Verfassung Treue und Gehorsam zu schwören. Art. 108. Die bestehenden Steuern und Abgaben werden forterhoben und alle Bestimmungen der bestehenden Gesetzbücher, einzelnen Gesetze und Verordnungen, welche der gegenwärtigen Verfassung nicht zuwiderlaufen, bleiben in Kraft, bis sie durch ein Gesetz abgeändert werden. Art. 109. Alle durch die bestehenden Gesetze angeordneten Behörden bleiben bis zur Ausführung der sie betreffenden organischen Gesetze in Thätigkeit. - Art. 110. Für den Fall eines Krieges oder Aufruhrs können die Artikel 5. 6. 7. 24. 25. 26. 27. und 28. der Verfassungsurkunde zeit- und districtsweise ausser Kraft gesetzt werden, die näheren Bestimmungen darüber bleiben einem besonderen Gesetze vorbehalten. Bis dahin bewendet es bei den in dieser Beziehung bestehenden Vorschriften.

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Uebergangsbestimmungen. — Art. 111. Sollten durch die für Deutschland festzustellende Verfassung Abänderungen des gegenwärtigen Verfassungs-Gesetzes nöthig werden, so wird der König dieselben anordnen und diese Verordnungen den Kammern bei ihrer nächsten Versammlung mittheilen. Die Kammern werden dann Beschluss darüber fassen, ob die vorläufig ange.

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