„Ich bin wie die Löwin; mich lockt die Gefahr; frei schwing' ich mich auf, wie zur Sonne der Aar; Im Endlosen kreist, Von mächtigem fittich getragen, mein Geist. Ich bin wie das Meer, das empörte; es spült An Segen sonst reich vom Orkane durchwühlt, Wild schäumend die Trümmer und Leichen an's Land. Nichts ward mir vom Weibe, nicht Freude, noch Weh Der Braut oder Mutter; ich lernte seit je Mir selbst nur vertrau’n; Ich hasse den Mann und verachte die Frau'n. Den Männern nicht weichend an Kraft und Gestalt, Bekämpf' ich gewaltsam ihr nur durch Gewalt Erworbenes Recht Des Stärkern und räche mein ganzes Geschlecht. Und was auch seit je mit erfind’rischer List, Ein's weiß ich gewiß: mich entwürdigt kein Mann. Mich bindet kein Zwang, mich beirrt kein Gesetz Die Seelen umschnürt; Auch herrsch' ich nur, weil mir zu herrschen gebührt. Und hat das Geschick bei des Daseins Beginn Das Glück in die Fäden des Lebens gewebt, Dann mag ich kein Glück; ich verschmähe ein Gut, Mein Herz ist ein Schwert, Das Kämpfe und Siegsruhm und Herrschaft begehrt. Denn Königin bin ich, und bändigt kein Zug Dann schwelgt sie, der Haft Entledigt, in üppiger fülle der Kraft, Und hebt ihre Schwingen, und königlich rollt Unbändigen Muths, mein entfesselter Zorn. Vielleicht, daß der Gott mit dem Schöpferberuf Der Ewigen wollte: ich bin, was ich muß.“ (5. 239). Man wird es schon begreifen können, daß Leuthold diese Dichtung sein „Kronjuwel“ nannte. Es ist eine schöne Perle in seiner Dichterkrone. Aber einen kritischen Einwand können wir doch nicht unterdrücken. So hochpoetisch und packend das Epos auch wirkt, so sehr die Dichtung auch durch die blühende Diction und das schlachtenmalende, klangvolle Versmaß fesselt, so beeinträchtigt der durch und durch im Geiste des Alterthums gehaltene Inhalt den Genuß. Diese Vorstellungen von den Gottheiten, vom Hades c. 2. liegen dem modernen Zeitgeiste zu fern; unsere Geistes- und Gefühlswelt bäumt sich auf gegen das Ansinnen, jene verrauschte Periode nachzuempfinden. Uns're Zeit muß wiederstrahlen aus dem Spiegel des Gedichts“, verlangen wir mit Gustav Pfizer und zwar mit gutem Recht. Es ist daher zu bedauern, daß Leuthold als Epiker den Forderungen der neuzeitlichen Poesie keine Rechnung getragen und sein Schönheitsideal aus einer Jahrtausende entlegenen Epoche herübergeholt hat; aber hier begegnen wir wieder Leuthold's immer stärker hervortretender Neigung zur Antike, auf die wir kurz vorher hingewiesen. Es ist dies zu bedauern; denn unser Schweizer Poet war mit allen Gaben ausgerüstet, die nöthig sind, um in großangelegten Spiegelbildern unsern Zeitgeist zu reflectiren. Ebenso zu bedauern ist es, daß er nicht die Muße gefunden hat, jene in der Autobiographie erwähnten epischen Stoffe, die doch in wesentlich moderneren Anschauungen wurzeln, dichterisch zu gestalten. Dieser Vorwurf der akademischen Stoffwelt trifft auch die " " " rhapsodische Dichtung Hannibal", bei dessen kulturgeschichtlichen Schilderungen ihm Flaubert's karthageniensischer Roman „Salambô“ sehr zu statten kam. Rein künstlerisch betrachtet reiht fich Hannibal" der ersten epischen Schöpfung voll an. Dieser Rhapsodiencyklus, von dem Ernst Ziel*) so treffend sagt, daß es ihm nicht an einem imponirenden historischen Zuge und einer Plastik des großerfaßten Geschichtsbildes fehlt," daß es ein zugleich farbiges und lebensvolles Malen in Rhythmen ist, wie es nur ein Meister der Kunst vollbringen kann“ dieser Rhapsodiencyklus ist nur bruchstückweise in den „Gedichten" enthalten. Gewiß wird es den Freunden Leuthold's willkommen sein, wenn wir hier das ganze Gedicht abdrucken. Gern geben wir zu, daß es nach dem Schluß hin stellenweise der sauberen Ausfeilung entbehrt, die wir an den meisten Schöpfungen Leuthold's gewohnt sind. Die Krankheit des Dichters hinderte ihn, die leßte Hand an seinen Hannibal" zu legen. " Hannibal. Ein Rhapsodiencyklus. I. Mago. Um den Garganus streichen Im Aufidus zum Meer. Und Jammer füllt und Trauern Die Mauern Und alle Straßen Rom's. Doch die der Schlacht Entgang'nen *) Literarische Reliefs III. S. 154 u. 155. Droht schnöde Sklaverei; Seh'n sie die Bundsgenossen Mit Rossen Und Waffen reich beschenkt. Inzwischen brachte Mago. Mit Raub aus Kannä's Schlacht Gefangen nach Karthago Den Rest der Römermacht. Hier schwieg die Furcht indessen, Ward jahrelanges Leid. Es wurden festgelage Das ganze Volk zu Gast. Indessen von der Mauer In Sicht die flotte kam, Die Kunde Das trunk'ne Volk vernahm, Und als es die gleich Schemen In sturmbeschwingtem flug Hersegelnden Triremen Und schon der Beute Lasten Erscholl ein ungeheuer Und wankte das Gemäuer Um die Akropolis. Ein Jeder ward Choragos, Gewalt'ge Stadt zu eng. Indeß sie taumeltrunken Die Dächer Mit weicher Dämmerung. Von Cymbeln und Krotalen Die Sonnengottheit an. Auf ihres Tempels Warte |