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ficherm Instinet den allgemeinen Volkswillen herausfanden? „Bewahret, achtet die Ordnung"! Niemand wollte die Erschütterung, die unausbleiblich war, wenn mit der Durchführung der unbestimmten Forderungen, die sich dem alten Regierungssystem gegenüber geltend machen wollten, auch nur der Versuch gemacht würde Alles wurde von einem unheimlichen Grauen vor den Schrecken geplagt, deren Eintritt man als gewiß erwartete, wenn gegen die abgelebten Gegenfäße, die die bisherige Weltordnung bestimmt hatten, ein entscheidender Streich geführt würde. Der Bürger zumal, von den weltlichen Sorgen seines Geschäfts in Anspruch genommen und geistig zu unselbstständig, um den kleinen Trost entbehren zu können, den der lezte Nachschein der untergegangenen geistlichen Gnadensonne ihm noch gewährte, in der Mitte zwischen dem aristokratischen Privilegium und dem Sclavenstand des Arbeiters sich noch zu sicher fühlend, vom Anflug moderner Theorien angefressen und durch die Hoffnung aufrecht gehalten, daß es seiner ruhigen Haltung, seiner massiven Zähigkeit gelingen würde, jede Krisis nicht nur zu überstehen, sondern auch abzuwenden, machte eine wirkliche Regierung, wie sie die revolutionåre Parthei träumte, unmöglich. Wenn er durch sein Aufbrausen eine aristokratische Intrigue für den Augenblick er bedenkt nicht, daß es nur für den Augenblick geschah vereitelt hat, so müssen sich die Wogen der Aufregung sogleich wieder auf sein Machtgebot legen — er gebietet wieder Ruhe und die „Anarchisten“ haben nun Zeit und Muße, über die Rathlosigkeit und Abgestumpftheit zu klagen, die dem hoffnungsvollen Aufschwunge, dem empörten Aufsteigen der Volkskraft wieder gefolgt ist.

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Derselbe „politische Stillstand", der nach dem 15. Mai eintrat, machte sich auch nach dem 26. geltend. Der Ruf nach Ruhe und Ordnung, obwohl immer wieder gehört, war fast unnöthig: es herrschte allgemeine Ruhe, aber auch ein Gefühl der Stumpfheit, der innern Rathlosigkeit, der Mattherzigkeit und Unentschlossenheit, die eine Apathie und Abgeschlagenheit erzeugte, wie sie in Wien seit den Märztagen nicht vorhanden war.“1) Diese Spannung der Furcht, flagten die Radicalen, diese Angst vor dem plöglichen und gewaltsamen Einbruch von Umwälzungen, die die alte Ordnung der Dinge über den Haufen werfen könnten, hat die düstere, unklare Stimmung des Tages erzeugt und einen Zustand des politischen Stillstandes herbeigeführt, der endlich in vollkommner Charakterlosigkeit und Thatlosigkeit der Menschen enden muß. Die Furcht vor der Anarchie, welche die „Organisirung der Freiheit“ herbeiführen könnte, hat die Anarchie der allgemeinen Ohnmacht erzeugt. Keine Parthei ist im Stande, eine feste Stellung einzunehmen, keine der Regierung fähig Alles ist rathlos ge=

worden!

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Selbst die gemäßigte Wiener Zeitung 2) klagte darüber, daß Alles in den gegenwärtigen Zuständen provisorisch, Alles in Frage gestellt ist, Nichts haftet, Nichts wurzelt, daß in der Stille und Beschwichtigung, die der Aufregung gefolgt ist, keine jungen Organisationskeime ihre Wurzel schlagen können, daß die Ministerien mit ihrer Wirksamkeit immer mehr in den Hintergrund treten, sich thatsächlich in gänzlicher Erschlaffung auflösen, daß der Augenblick nur seine augen

1) Allgemeine österreichische Zeitg. Nr. 61. (31. Mai.) Abendbeilage. 2) Nr. 153 vom 2. Juni.

blicklichen Organe schafft, die provisorischen Schöpfungen, diese Kinder des Augenblicks und seiner Bedürfniffe, kaum entstanden, im nächsten Augenblick wieder vergehen, daß in diesem steten Wiederanfangen viele edle Kräfte geweckt und geschult, aber auch unfehlbar aufgerieben werden, das ununterbrochene Neubeginnen manchen tüchtigen Keim zu nichte macht, daß die edelsten Kräfte, wenn sie sich kaum gruppirt und Form und Leben gewonnen haben, alsbald wieder abtreten müssen, zerstieben, als Nothbehelfe des Augenblicks verschwinden und neuen Keimen, neuen Mißgriffen, neuer Gefahr des Mißlingens Plaß machen müssen, kurz, daß es keine „kräftige, mit schöpferischen Köpfen gerüftete, durch Ideen befruchtete" Regierung giebt.

Die kräftige Regierung, nach welcher die radicalen und gemäßigten Freunde des Fortschritts riefen, war aber bereits in ihren Elementen vorhanden, insgeheim und offen sogar sehr thätig ste war es, die die beständige Vereitelung der revolutionären Versuche bewirkte und leitete und der zukünftigen ministeriellen Contrerevolution ihre Stätte zubereitete.

In Berlin erinnerten sich die Geheimenräthe, die am Morgen des 19. März den Barrikadenkämpfern 1) mit den Worten: „ein Athemzug der Freiheit thut dem Herzen doch wohl!" die Hand drückten, schon zwei Tage darauf ihres Berufs der Ueberwachung und Leitung und auf einen Wink

1) 3. B. dem Thierarzt Urban. Siehe: amtliche Berichte und Mittheilungen über die Berliner Barrikadenkämpfe von Augenzeugen und Mitkämpfern. Berlin. 1848. Heft I. p. 35.

der Regierung schleppten sie sich keuchend unter der Last des Gewehrs in die Reihen der Bürgerwehr, um den „guten Geift" derselben zu erhalten und zu stärken.

Die Geistlichen, die, von der allgemeinen Empörung fortgeriffen, am Abend des 18. März in ihrem Ornat über die Barrikaden stiegen, ins Schloß zogen und den König um Nachgiebigkeit und um Zurückziehung der Truppen baten, predigten bald wieder gegen das Verbrechen der Empörung, welches sie in einem revolutionären Augenblick in Schuß genommen, und organisirten z. B., als die sogenannte Emancipation der Volksschule zur Sprache zu kommen drohte, einen allgemeinen Aufstand der Bürgerschaft der Provinzialftädte und der Landbevölkerung zu Gunsten der geistlichen Aufsicht.

Der Policeipräsident Minutoli, der bis zum Abend des 18. März von Straße zu Straße gelaufen war, die Volks, haufen haranguirt, das Recht des Aufstandes anerkannt und nur das Unglück gehabt hatte, daß es ihm nicht gelang, das Volk mit dieser Anerkennung zu beruhigen, ließ sich von der militärischen Umgebung des Königs dazu bewegen, das Commando der Bürgerwehr zu übernehmen, und arbeitete mit Erfolg dahin, daß dieselbe das provisorische Surrogat der gestürzten Gensdarmerie und Policei wurde.

Die schnelle Ermattung und Sentimentalität einzelner Revolutionäre, in der sich die unverwüstliche „gute Gesinnung" der Bürgerschaft wieder zur Geltung brachte, fam den Plänen der im Geheimen wirkenden Regierungsmacht entgegen: der Thierarzt Urban z. B. lernte schon am Morgen des 19. März, während noch einzelne Schüsse fielen, im vertraulichen Gespräch mit dem gefangenen General Möllendorf die wohl

meinenden Absichten der alten Regierung kennen: begei= ftert durch die Eröffnungen und Versicherungen des föniglichen Dieners lief er am 21. März, als der König seinen Kaiserzug hielt, eine Zeit lang, eine Kaiserkrone hochhaltend, neben dem Pferde deffelben her, bis er sich gleichfalls zu Pferde dem Triumphzuge anschloß nach dem Zuge folgte er dem König ins Schloß und feine Gemächer, und beschwor ihn auf den Knieen um die Vollmacht, die Garderegimenter nach Berlin zurückzuführen (an der Seite Möllendorfs wollte er es thun, „er wird mir, sagte er, die Bruderhand zur Versöhnung geben“ ) 1), derselbe bürgerliche Schwärmer sprach in dem Galimathias, in dem er zur „Versöhnung zwischen Fürst und Volk, zwischen Bürger und Militär" aufrief 2), zuerst davon, daß in der Hand des Königs die Rechte des Volks am sichersten aufgehoben seyen (wenn ihm nur Vertrauen und Liebe entgegenfomme) daß der König, nur wenn Liebe und Einigkeit wieder hergestellt sey, die Rechte des Volks „vertreten" und für das Volk heilbringend bewahren könne".

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Wenige Tage nach der Nacht vom 18. März und den Auftritten, die am 19. in dem Schloßhofe vorgefallen, erschrafen schon die Berliner, als die ersten Nachrichten von Gegenerklärungen aus den Provinzen einliefen, als man z. B. von einer Erklärung hörte, die im Wanzlebener Kreise umhergetragen wurde und in der sich die tiefe Empörung über die Entwürdigung des Königshauses“ aussprach: der Bürger wollte Nichts davon wissen, daß das Königthum fich für einen Augenblick vor der Volksmasse, in der es so 1) A. a. D. P. 36.

2) Voffische Zeitung 1848, Nr. 76 (vom 30. März).

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