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einen Mann in beschränkten Vermögensverhältnissen eine sehr empfindliche, harte Strafe, während sie für einen Millionär eine Kleinigkeit ist, die für ihn keine abschreckende Kraft besigt. Die gleiche Strafe trifft also die Schuldigen sehr ungleich.

Sehen wir aber von diesem Punkte ab, so fällt die neue Schule mit den obigen Grundsäzen ganz aus ihrer Rolle. Sonst betont sie immer, bei der Strafzumessung sei der ausschlaggebende Faktor die innere Gesinnung des Täters, und jezt behauptet sie, die Schwere der Rechtsverlegung, d. h. der äußeren Tat, könne eine größere Strafe fordern. Wie stimmt das? Allerdings, wollte sie ihren Grundsägen treu bleiben, so würde sie notwendig zu ganz absurden Folgerungen gedrängt.

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Sehen wir den Fall, ein bisher unbescholtener, braver Mann sei bei einer Festlichkeit in etwas angeheitertem Zustande zum Zorn gereizt worden und habe bei der folgenden Schlägerei seinen Gegner niedergestochen. Es liegt Totschlag vor, anderseits haben wir hier alle Zeichen eines Augenblicksverbrechers. Die Tat bleibt eine bitter bereute Episode seines Lebens. Soll man ihm nun eine bloße Geldstrafe auferlegen und die alte Wergeldstrafe" wieder einführen? Die neue Schule scheut sich doch, eine solche Folgerung zu ziehen, und gibt lieber ihren Grundsah preis, daß bei der Bestrafung die innere Gesinnung der ausschlaggebende Faktor sei. Auch mit der Behauptung, die Individualität des Augenblicksverbrechers sei zu berücksichtigen, widerspricht sie sich. Sobald das Verbrechen aus der Individualität des Täters erklärt wird, ist dieser eben kein Augenblicks= verbrecher mehr. Das Verbrechen ist dann seiner Eigenart nicht fremd und nicht bloß auf äußere ungünstige Umstände zurückzuführen.

Mir will scheinen, daß der Augenblicksverbrecher im Sinne der neuen Schule den Strafrichter gar nichts angeht. Die Strafe hat ja nach ihr die Gesinnung des Täters zu beffern und die

Gesellschaft für die Zukunft sicherzustellen. Aber eine Befferung oder Gesinnungsänderung des Augenblicksverbrechers kann gar nicht in Frage kommen. Das Verbrechen ist seiner Eigenart fremd und auf eine Verkettung ungünstiger Umstände zurückzuführen. Die Gesinnung ist also gut und braucht nicht ge= beffert zu werden.

Höchstens könnte die Bestrafung die Bedeutung eines kräftigen Denkzettels für die Zukunft haben; aber das sezte doch voraus, das Verbrechen sei seiner Eigenart nicht fremd, seine Gesin= nung sei mangelhaft und müsse im Guten gefestigt werden. Es bleibt also nur der Sicherungszweck. Aber wie will man diesen erreichen? Der Mensch ist nach der neuen Schule nicht frei; er hat sein Wollen nicht in seiner Gewalt. Vielleicht gerät der Schuldige nächstens in eine andere, noch ungünstigere Verkettung von Umständen, die ihn zur bösen Tat hinreißen. Wie kann man da die Gesellschaft für alle Fälle sicherstellen? Höchstens dadurch, daß man ihn in ganz andere gesellschaftliche Verhältnisse oder für Lebenszeit in Gewahrsam bringt. Das eine ist praktisch nicht durchführbar, und das andere würde zu einem ganz unerträglich harten Strafsystem führen.

Obwohl gegen die Gelegenheitsverbrecher hauptsächlich die Geldstrafe verwendet werden soll, will man doch wie schon angedeutet -die Freiheitsstrafe für dieselben nicht ausschließen. Hier gerät die neue Schule in nicht geringe Verlegenheit. Einerseits bezeichnet sie als eines ihrer Hauptziele „den Kampf gegen die unsere heutige Strafrechtspflege völlig beherrschende kurzzeitige Freiheitsstrafe, die in ihrer heutigen Anwendungsweise weder bessert noch abschreckt noch unschädlich macht, dafür aber vielfach den Neuling dauernd in die Bahn des Verbrechens weist" 1. Anderseits ist ebenso klar, daß eine langzeitige Freiheitsstrafe gegen einen Gelegenheitsverbrecher, besonders wenn

1 v. Liszt, Lehrbuch des deutschen Strafrechts 75.

es sich um keine schweren Rechtsverlegungen handelt, unangebracht, ja ungerecht wäre.

Was ist also zu tun? Die neue Kriminalistik erhebt die Forderung, die kurzzeitige Freiheitsstrafe möglichst durch andere geeignete Maßregeln (Zwangsarbeit ohne Einsperrung, Ehrenhauptstrafen, insbesondere Verweis, Wirtshausverbot, Hausarrest, Prügelstrafe) zu ersehen oder durch Verschärfungen ihr die abschreckende Kraft zurückzugeben“ 1.

Das ist ein interessantes Geständnis! Seit mehr als einem Jahrhundert kämpft der Liberalismus für eine humanere Behandlung der Sträflinge und eifert besonders gegen die Prügelstrafe, und jezt sehen sich manche seiner Anhänger infolge ihrer Strafrechtstheorie genötigt, eine rückläufige Bewegung anzutreten. Sogar die Prügelstrafe wird wieder empfohlen. Vielleicht kommen auch Fasten, Pranger und ähnliche Zuchtmittel der guten alten Zeit wieder zu Ehren. Dagegen fürchten wir, daß bloßer Verweis, Hausarrest, Wirtshausverbot u. dgl. nur einen sehr geringen Eindruck auf die Verbrecherwelt machen werden. Wie sich v. Liszt die Zwangsarbeit ohne Einsperrung" denkt, ist uns nicht klar geworden. Heute dürfen nur die Zuchthäusler gegen ihren Willen außerhalb der Strafanstalt zu Zwangsarbeit angehalten werden.

Recht sehr bedauern wir, daß sich v. Liszt nicht näher darüber ausgesprochen hat, auf welche Weise der Freiheitsstrafe durch Verschärfungen ihre abschreckende Kraft zurückgegeben werden kann. Das hätte ein interessantes Kapitel gegeben. Leider hat er Schweigen für Gold gehalten. Wir sind keineswegs unbedingte Gegner einer solchen Verschärfung, aber es hätte uns sehr interessiert, in dieser Beziehung die Absichten der neuen kriminalistischen Schule zu erfahren. Hoffentlich wird sie das Versäumte nachholen und nicht verschämt mit ihren Ansichten und Absichten hinter dem Berge halten.

1 Ebd.

Cathrein, Grundbegriffe des Sirafrechts.

11

IV.

Behandlung der Zustandsverbrecher.

Ganz anders als bei den Gelegenheitsverbrechern soll sich nach den Kriminalsoziologen der Strafvollzug bei den Zustandsverbrechern gestalten, die aus tiefgewurzeltem Hang Straftaten begehen. Diese sind abgesehen von den jugendlichen unter 21 Jahren nach v. Liszt als unverbesserlich anzusehen. Für sie soll kein bestimmtes Strafmaß feft= gesetzt werden. Durch den Richter erfolgt Einsperrung auf unbestimmte Zeit oder vielmehr „Einsperrung auf Lebenszeit“ 1.

Da aber ein Irrtum des erkennenden Richters über den Charakter des von ihm verurteilten Verbrechers nicht ausgeschlossen ist, wäre zwar im Urteil die Anhaltung auf Lebenszeit auszu= sprechen, es könnte aber der Gefängnisverwaltung oder einer besonders dazu berufenen Behörde die Befugnis gegeben werden, von Zeit zu Zeit, etwa alle fünf Jahre, fest= zustellen, ob die Voraussetzungen, von welchen der erkennende Richter ausgegangen ist, noch vorhanden sind oder ob nicht eine bedingte Entlassung des Verurteilten unter gleichzeitigem Eintritt der Schußaufsicht zu verfügen sei. Dahin ging auch der von mir im Jahre 1896 gemachte Vorschlag. Ich habe mich inzwischen überzeugt, daß jeder derartige Vorschlag bei den An= hängern der klassischen Richtung innerhalb des Strafrechts den lebhaftesten Widerspruch findet. Man pflegt sich nicht nur an der lebenslangen Freiheitsstrafe für den gewerbsmäßigen Taschendieb oder Hochstapler, sondern ganz besonders auch an der Überprüfung des richterlichen Urteils durch eine Verwaltungsbehörde zu stoßen." 2

v. Liszt will diese Bedenken nicht gelten laffen, aber es fragt sich, mit welchem Recht. Wie kann sich eine Behörde, die alle

1 Verhandlungen des 26. deutschen Juristentages I 295.

2 Ebd. 296.

fünf Jahre einen Gefangenen zu Gesicht bekommt, ein sicheres Urteil bilden über die Aussichten, die derselbe für die Zukunft gibt? Sie kann sich höchstens auf das Urteil der subalternen Wärter oder des Gefängnisdirektors stüßen, und von diesen unverantwortlichen Beamten wird es also abhängen, ob jemand der Freiheit wiedergegeben wird oder nicht.

Es ist deshalb viel konsequenter, wenn er an andern Stellen ohne Umschweife erklärt, daß die unverbesserlichen Zustandsverbrecher, ähnlich wie die unheilbaren Geisteskranken, für immer in einer Verwahrungsanstalt untergebracht werden sollen: „Die Unterscheidung zwischen der Sicherungsstrafe gegen unverbesserliche Verbrecher und der Verwahrung gemeingefährlicher Geisteskranker ist nicht nur praktisch im wesentlichen undurchführbar, sondern auch grundsäglich zu verwerfen." 1 Sind also die Strafbeamten zur Überzeugung gelangt, daß der Verbrecher unheilbar, unverbesserlich sei, so wird er in eine Verwahrungsanstalt wandern, wo er so lange bleiben muß, bis sein Zustand der Gemeingefährlichkeit sein Ende gefunden hat“, d. h. bis ihn der Tod befreit.

"

Mit unserem sozialen Unwerturteil über den Verbrecher und seine Tat, schreibt v. Liszt, „werden wir (im Strafrecht der Zukunft) nicht zurückhalten. Aber das Brandmal werden wir ihm nicht mehr auf die Stirne brennen. Das Mitleid werden wir auch dem Unverbesserlichen nicht versagen, den wir zur Wahrung gemeinsamer gesellschaftlicher Interessen für den Rest seines Erdenwallens von dem Angesichte seiner Mitmenschen abschließen“ 2.

Wir bitten nun den Leser, sich zu vergegenwärtigen, welch ungeheure Zahl von Verbrechern folgerichtig zu dieser Theorie

1 Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft XVII 92.
2 Ebd. 84.

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