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§ 215. Die reformirte Kirche in Hessen u. Brandenburg.

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Lästerns auf der Kanzel enthalten wolle. Also gegen die Ubiquität; 2) daß man die zehn Gebote Gottes, wie sie in der Bibel stehn, ohne Auslassung des zweiten lehren, demnach diejenigen Bilder abschaffen solle, welche im Papstthum zur Abgötterei gebraucht, zum Anstoß ge= reichen könnten; 3) daß man das heilige Abendmahl wie mit gemeinem Wein, so mit gebräuchlichem, wahrhaftem Brot und mit der Cärimonie des Brotbrechens administriren solle, wie Christus gethan. Hierzu kam seit 1616 der Heidelberger Katechismus. So fand in Hessen Kassel zwar nicht ein förmlicher Übertritt statt, aber die Kirche erhielt einen durchaus reformirten Charakter. Ober-Hessen, Darmstadt entschied sich damals für Sicherung des Lutherthums, doch erst 1626 die confessio variata aufgebend. 1607 hat Ludwig V die Universität Gießen gegründet als ausschließlich lutherische.

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Der Kurfürst Johann Sigismund von Brandenburg achtete sich durch seinen dem Vater gegebenen Eid auf das Lutherthum so wenig gebunden wie einst Joachim II durch den Eid bei der päpstlichen Kirche auszuhalten: am Christfest 1613 empfing er in der Hofkirche zu Berlin das Abendmahl nach reformirtem Ritus. Es waren unnatürliche Eide wie nie ein Vater von seinem Sohn, nie ein Geschlecht vom nächstkommenden für oder gegen die religiöse Überzeugung sie fordern sollte. Doch erscheint es verhängnißvoll, daß beide Religionswechsel der Hohenzollerndynastie durch fürstliche Eidbrüche hindurchgegangen sind. Die Confession, in welcher Johann Sigismund persönlich seinen Glauben verkündet, lehnt die Prädestinationslehre bestimmt ab, über das Abendmahl wird bemerkt: Brot und Wein werden mit dem Munde genossen, der wahre Leib und Blut mit dem Glauben." Im Erbstreit um Jülich-Cleve mit Kursachsen und der Pfalz ist Brandenburg durch die Hülfe der reformirten Niederländer gefördert worden, allein der junge Besiz des Herzogthums Preußen, welches seit 1611 an Kurbrandenburg gefallen war, ist durch Verbitterung des lutherischen Volkes doch so gefährdet worden, daß man nicht sagen kann, der Übergang des Kurfürsten zur reformirten Kirche sei durch politischen Vortheil bedingt worden. Die Berliner Bevölkerung hat damals die Häuser der beiden reformirten Hofprediger zerstört, ohne daß die That gehindert oder gestraft werden konnte. Der reformirte Gottesdienst blieb auf die Hofkirche beschränkt. Bald handelte sich es nur um das Gebot des Kurfürsten, daß sein Glaube auf der Kanzel nicht geschmäht werde. Die gewissenhaften Lutherischen Geistlichen weigerten sich meist ein Versprechen deßhalb auszustellen, sie wurden darum aus dem Lande gedrängt. Aber der Kurfürst erlitt unzählige persönliche Kränkungen. Nachdem er seinem K. v. Hase, Werke. III.

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Sohn die Regierung übergeben, lebte er im Hause seines Kammerdieners, und ist schon im 47. Lebensjahre gestorben. Allmählich gelang doch dem Hofe durch Erklärung der Concordienformel als nicht verbindlich, durch Abschaffung des Exorcismus, durch Begünstigung des Philippismus das strenge Lutherthum zu schwächen, doch das lutherische Volk blieb betrübt über den Abfall der Dynastie.

Man muß sich wohl die Frage vorlegen: woher kommt diese Verbreitung der reformirten Kirche auf lutherischem Boden, warum hat die lutherische Kirche nicht diese anziehende Kraft geübt, sie die doch jedenfalls für sich hatte die mächtigere, man möchte sagen deutschere Individualität des Gründers? Die Antwort liegt wohl in diesen Punkten: 1) Die reformirte Kirche hatte größere Einfachheit des Cultus eingeführt, sie schien hierdurch der apostolischen Kirche näher getreten zu sein, entschiedner das gemeinsame Princip der Rückkehr zur H. Schrift ausgeführt zu haben. So versichert der Kurfürst von Brandenburg: „Luther hat noch tief gesessen in den Finsternissen des Papstthums." 2) Reformirte waren zum Übertritt nicht veranlaßt, weil sie sich bereits durch die Augsburgische Confession als in voller Gemeinschaft mit der lutherischen Kirche ansahn. So sagt Johann Sigismund auf seinem Sterbebett: „Ich sterbe im Glauben meines Vaters." Mißverstanden im Volke, brachte das große Freude: man meinte, er sei zur lutherischen Kirche zurückgekehrt. 3) Die ganze Richtung Melanchthons wurde durch den schroffen Gegensaß des Lutherthums hinübergedrängt zur reformirten Kirche. Die Art, wie sämmtliche reformirte Landeskirchen in Deutschland es geworden sind, bezeugt, daß es nicht der Einfluß des romanischen Calvinismus war, noch ein beabsichtigter Übertritt zu demselben, sondern die vorher in der lutherischen Kirche zwar nicht allein herrschende, aber doch berechtigte philippistische Richtung, die von der lutherischen Schule ausgestoßen wurde. So ist's mehr der Parallelismus mit der ersten Abtheilung, wenn in der Überschrift von Calvinismus geredet ist, und diese nicht ganz berechtigt.

Im deutschen Reich galten die beiden innerlich zerspaltenen protestantischen Kirchen noch als politisch vereint. 1566 auf dem Reichstag zu Augsburg war allerdings die Rede davon, Kurpfalz wegen des Heidelberger Katechismus von dem Religionsfrieden auszuschließen. Der Kurfürst berief sich auf die H. Schrift, wer ihn aus der widerlege gelehrt oder ungelehrt, Fürst oder Stallbub, dem wolle er gehorchen. Da klopfte ihn Kurfürst August von Sachsen auf die Schulter: Friz, du bist frömmer als wir Alle.“ Diese ungewohnte Milde geschah nicht ohne Einwirkung der damals in Wittenberg herrschenden Philippisten.

§ 215. Lutherische u. reformirte Polemik.

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Aber unter den Geistlichen und durch sie im Volk wurde der Groll immer bitterer. Heßhusius in einer Streitschrift warf den reformirten Theologen vor: „Sie radiren uns den Kern aus dem Testament Christi, Christus ist ihnen eine in den Himmel gesperrte machtlose Bestie. Mit ihnen eins werden, gibt's nur ein Mittel, daß sie Gott die Ehre geben und glauben, was wir glauben." An die Beschreibung, welche Pastor Blume dem armen Kanzler Crell mitgab auf seinem lezten Weg, schließt sich Dr. Nicolais kurzer Bericht von dem calvinischen Gott [1597] würdig an: „Was mag der Calvinisten Gott für ein Antlig haben? Antwort: er sieht aus wie ein Brüllochs [Zuchtstier], denn gleichwie ein Brüllochs für keinen Hurer und Ehebrecher mag gehalten werden, ob er schon auf alle Kühe springt, also will der Calvinisten Gott und Brüllgeist engelrein sein, wenn er schon die verruchten Buben und Höllenriegel zu allerlei Schande und Laster nach seinem Muthwillen reizet und treibt. Wo steht das geschrieben ? Also schreibt dieses Ochsengottes erstgeborne Creatur und Apostel Zwingli [er hat sich allerdings des bedenklichen Gleichnisses einmal bedient]. Hältst du dafür, daß die Calvinisten statt des wahrhaften Gottes den leidigen Teufel ehren und anrufen? Das bekenne ich von Grund meines Herzens und will mich darin dem Herrn Luthero nicht im geringsten widerseßen, sondern nehme es für ein groß Zeugniß an, was er von diesen Rottengeistern im kurzen Bekenntniß vom Abendmahl schreibt: daß sie haben eingeteufelte, durchteufelte und überteufelte Herzen. Was ist der Calvinisten Religion? Sie ist ein Gräuel der Verwüstung an heiliger Stätte."

Besondre Freude hatte man an der Entdeckung, daß unter dem Namen Calvinus durch Anagramm Lucianus verborgen sei, dieser als Religionsspötter und Feind des Christenthums. Reformirte Theologen gaben es mitunter reichlich zurück gegen die lutherische Abendmahlslehre im Wiederholen und Fortbilden der schon von Zwingli angehobnen Vorwürfe: Fleischfresser, Blutsäufer, Gottfresser, Kapernaiten und thyestische Gäste, die sich im heiligen Mahl eine leibliche Speise dichten für Schlund und Bauch: „Sie haben einen gebacknen, gekochten, im Ofen gargemachten, eingebrodteten, zolllangen Gott, den sie zerbeißen und verdaun."

§ 216. Die Niederlande.

Wir sprechen von den Niederlanden zuerst, weil sie zu Deutschland gehörten dem Stamm, der Sprache und der damaligen Rechtsansicht nach, und hier die Entscheidung gefallen ist für den Sieg des strengen

Calvinismus. Das dem Meer abgekämpfte Land war im 15. Jahrhundert voll bürgerlicher Betriebsamkeit, dabei wohlhabend und auf seine städtischen und provinziellen Freiheiten eifersüchtig. Als durch die Heirath der Erbtochter Maria von Burgund mit Maximilian, dem nachmaligen Kaiser, die Niederlande an Österreich und durch die Heirath seines Sohnes an Spanien kamen, wurden die hergebrachten Rechte der niederländischen Provinzen feierlich verbürgt. Söhne der Niederlande, die Brüder des gemeinsamen Lebens, Mystiker, Weffel, Erasmus waren die nationalen Vorläufer der Reformation. Dann haben Luthers Schriften Bahn gebrochen, aber durch die Verbindung mit der Schweiz und mit Frankreich wurde der reformirte Lehrbegriff herrschend. Karl V wie Philipp II waren zugleich scheu vor der politischen Freiheit, Hunderte starben im Kerker oder auf dem Blutgerüst. Als die Inquisition ihre Scheiterhaufen gegen des Landes alte Freiheiten errichtete, war das Volk nicht rasch zur Empörung, aber der Adel vereinte sich zu einer Bittschrift für hergebrachtes Recht. An 400 trugen diese Bittschrift der damaligen Statthalterin Margarethe von Parma, der Schwester des Kaisers vor. Im Staatsrath über diese Bittschrift ist die Rede gefallen: man solle sich von diesem Haufen Bettler, Geusen nicht einschüchtern lassen. Bei einem Gastmahl kam dies zur Sprache, und es wurde ein Lebehoch den Geusen ausgebracht. Den Namen haben sie angenommen, ihr Bundeszeichen ein Bettelsack, also eine Art politischer Ebioniten. Damals hat Philipp II versprochen die Inquisition zurückzuziehen. An Pius V schrieb er zugleich, daß es nur zum Schein geschehe, und die Zurücknahme ungültig sei ohne Zustimmung des heiligen Vaters. Die Inquisition ist also geblieben. Ihr gegenüber kam es in einzelnen Städten zum Bildersturm: Hostien wurden mit Füßen getreten, mit geweihtem Öl die Schuhe geschmiert, Crucifire zerhackt, aus dem Kelch auf die Gesundheit der Geusen getrunken. Philipp II war dagegen entschlossen die katholische Religion um jeden Preis aufrecht zu erhalten, das lag in seinem Charakter wie in seinem Verhältniß zu Spanien. Er sandte Alba an der Spiße eines spanischen Heers nach den Niederlanden. Als der nach sechs Jahren abberufen wurde, sezte man ihm eine Bildsäule mit der Unterschrift, daß unter seiner Statthalterschaft 18 000 Kezer und Empörer hingerichtet worden seien. Er hielt dafür, man müsse sich vor Allem der Häupter der revolutionären Partei entledigen, deßhalb sei Karl V aus Deutschland verstoßen, weil er dies verabsäumt. Daher endeten die Grafen Egmont und Horn auf dem Schaffot. Sie waren noch Katholiken, aber Freunde des Volks und gegen die Inquisition. Wilhelm von

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Oranien, einst der Liebling Karls V, mit seinem Wahlspruch saevis tranquillus in undis entfloh dem gleichen Geschick und kehrte an der Spize eines kleinen in Deutschland geworbnen Heers zurück, an das sich der Aufstand, der aus dem Blutvergießen erwachsen war, anschloß. Er war im Lutherthum erzogen, äußerlich katholisch, er forderte nur Toleranz: die drei Kirchen sollten sich gegenseitig ertragen. Diese Gesinnung war doch den Zeitgenossen so fremd, daß ihm alle Religion abgesprochen worden ist, weil er als Lutheraner, als Katholik und als Calvinist aufgetreten war. Gegen ihn wurden Mörder ausgesandt: Jauregny wurde ergriffen, er führte neben dem Dolch als Amulet Gebete mit sich an die heilige Jungfrau, die für die glücklich vollbrachte That der Madonna eine bestimmte Kirche und Geschenke als Lohn zusagten. Als Oranien endlich doch durch Balthasar Gérards Hand getroffen war, rief er: „Gott erbarme sich meines armen Volks!" und Gott hat sich dieses Volks erbarmt.

Den Verlauf des heldenmüthigen Kampfes lernen wir doch am. sichersten kennen aus Schillers Geschichte des Abfalls der Niederlande. Diese Geschichte ist nicht grade gründlich und quellenmäßig, in Bezug auf die Thatsachen durch andre weit übertroffen, aber die Gedanken, aus welchen jene Thaten hervorgingen, kommen darin zur klaren Anschauung. Es war ein Religionskrieg: wo Spanien siegte, wurden die evangelischen Prediger gehenkt, doch war es zugleich ein Krieg der fürstlichen Gewalt gegen provinzielle und locale Privilegien, ein Krieg des spanischen und niederländischen Volksthums, daher auch Protestanten und Katholiken verbunden kämpften.

Die sieben nördlichen Provinzen, in denen deutsche Sitte und evangelischer Glaube vorwaltete, schlossen die Utrechter Union [1579] als ein Bundesstaat, dessen bürgerliche und religiöse Freiheit von Spanien erst im Gefühl gänzlicher Erschöpfung durch einen Waffenstillstand anerkannt wurde [1609].

Die Erfolge waren: der Sieg des Protestantismus und einer Republik, welche durch Betriebsamkeit und Weisheit sich unter die ersten Mächte von Europa stellte, indem die Freiheit unter dem Gesez hier rasch auch ihre irdischen Segnungen brachte.

Auf diesem politisch freien Gebiete, insbesondre der durch die Reformation gegründeten Universität Leyden gerieth der Geist Zwinglis mit dem siegenden Geist Calvins in offnen Streit.

Man hat den Arminianismus oft betrachtet als etwas Neues, aber nur dieser Geist warnen für Arminius selbst, den Schüler Bezas, der im Streit mit Gegnern der Prädestination vom Recht derselben ergriffen

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