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daß jeder für sich selbst die Verantwortung trage, daß man die Dinge gehn und sich selbst regeln lassen müsse, und daß einzig und allein Angebot und Nachfrage die Preise bestimmen dürften.

Mit diesen Gründen hatten nun freilich die Leitartikel seiner Zeitung oft genug Bismarck und die ganze Schutzöllnerschaft siegreich abgetan, aber auf Branden machten sie gar keinen Eindruck. Der saß auf seinem Stuhle und blinzelte weiter.

Was sagen Sie dazu, Brand? Sprechen Sie sich nur aus.

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Wenn Sie es hören wollen? Eine Regelung, wo der eine zum Millionär und der andre zum Krüppel wird, kann mir nicht passen.

Aber Sie können doch nicht verlangen, hundert Taler täglich einzunehmen. Angebot und Nachfrage

Wissen Sie was, Herr Schaufuß, wenn ich Sklavenhändler wäre, dann würde ich mit Ihrer Moral von Angebot und Nachfrage ganz schön auskommen.

Dabei blieb es. Die schönsten Gründe, die zwingendsten Schlußfolgerungen prallten an der brutalen Tatsache ab, daß Brand ein Krüppel war und hungern mußte.

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Und vergessen Sie nicht fügte Schaufuß endlich hinzu, daß Sie ein Christ sind, und daß Ihre Religion Ihnen christliche Geduld gebietet.

Da stand Brand auf und wollte, ohne ein Wort

zu sagen, weggehn.

Wo wollen Sie denn hin, Brand?

Fort will ich, Herr Schaufuß, verspotten sollen Sie mich nicht. Neulich war der Pastor bei mir, der

redete von christlicher Geduld. Dem Manne nehme ich das nicht übel, der muß so reden, denn das ist sein Geschäft; dem sieht man auch an, daß er glaubt, was er sagt. Aber Sie? Warum denn ich nicht?

Das kommt mir so vor sagen, wie mir das vorkommt.

Nur immer heraus damit.

ich wills lieber nicht

Ich wollte sagen, das kommt mir so vor, wie wenn der Fuchs den Hühnern predigt.

Es war durchaus nichts mit dem Menschen anzufangen. Er wurde endlich mit dem ansehnlichen Geschenk von fünf Mark entlassen. Das schien meinem Brand ganz annehmbar, und er verschwand, um das Geld schleunigst in Kalbsbraten, Kuchen und Branntwein anzulegen. Von da an sprach er mit großer Regelmäßigkeit unter immer neuen Vorwänden bei Schaufuß vor, der ihm denn auch regelmäßig eine immer kleiner werdende Gabe reichte. Brand war öfter betrunken als je und kam sichtlich immer weiter herunter. Als er zum erstenmal nur einen Groschen erhalten hatte, machte er auf dem Markte eine große Szene und schimpfte auf Gott, alle Welt und den schäbigen Filz, den Schaufuß.

Mit Almosen ging es also auch nicht. Nun, dann mag er arbeiten, hieß es. Für eine leichte Arbeit wie Korbflechten reichten am Ende seine Kräfte und seine Augen noch hin. Es wurde ein Korbmacher ange= nommen, der ihn zu unterweisen hatte. Aber Brand war zum Lernen viel zu alt und war viel zu abge= brüht, um für irgend etwas guten Willen zu haben. So lange er mußte, stocherte er in seinen Weiden herum; sobald man ihn sich selbst überließ, warf er

die Arbeit weg und erging sich bei der vielgeliebten Flasche in niederträchtigen Redensarten.

Endlich hieß es: Wenn es denn der Mensch nicht besser haben will, so mag eiserne Strenge angewandt werden. Es wurden alle Unterstüßungen eingestellt, auch bewirkt, daß die städtischen Almosen zurückgezogen wurden. Brand wurde überwacht, moraliter in eine Art Prügelkur und physice in eine Hungerfur genommen, um ihn zur Arbeit zu zwingen. Aber auch das war vergeblich. Er prügelte seine Frau und zog bettelnd über Land. Nun wäre noch das Armenhaus übrig geblieben, aber Brand erklärte mit so desperater Miene, daß er lieber ins Wasser als dahin gehn werde, daß man es nicht wagen mochte, ihn dahin zu zwingen.

Da wusch Rudolf Schaufuß seine Hände in Unschuld und gab den Mann auf. Er war es nicht wert gewesen, daß man sich um ihn kümmerte; so mochte er denn untergehn! Oder welches Mittel wäre denn etwa unversucht geblieben?

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Antwort: Keins, mit Ausnahme des besten. Alle hatten sie gepredigt, gescholten, überzeugen, zwingen, bessern wollen und nichts erreicht, weil eine Kleinigkeit dabei fehlte, die am Ende die Hauptsache ist. Als die vortrefflichen und verständigen Leute den Stab gebrochen hatten, konnte es mein gutes Käthchen nicht übers Herz bringen, mit ihnen zu sprechen: Hinab ins Verderben. Was ging sie denn der ganze Krimskrams von Arbeitgebern und Arbeitnehmern, von Angebot und Nachfrage an? Der elende Mensch tat ihr leid, vielleicht war er krank, vielleicht hatte. er nichts zu essen. So war es auch. Sie fand den Mann krank und halb verhungert. Da half sie denn,

wo es not war, und redete, wie es ihr gerade vom Herzen kam. Gepredigt hat sie nicht, auch keine hei= ligen Gesichter gemacht, vielmehr geplaudert und gelacht, wie sie es gewohnt war. Das waren Klänge, die Brand in seinem Leben nie gehört hatte. Daß es einen Menschen geben könne, der es wirklich mit ihm gut meine, ohne etwas von ihm zu wollen, das war ihm völlig neu, so neu, daß er für solche Erfahrung in seiner gemeinen Seele gar keinen Raum hatte. Er wollte ihr auch keinen Raum geben und versteckte sich hinter mürrischem Troß und schnödem Undank. Aber auf die Dauer hielt er das nicht aus: er wurde weich und fing an, wunderliche Reden über sich und seine Vergangenheit zu führen, aus denen sich mit steigender Klarheit das Urteil herausschälte, daß er ein großer Esel gewesen sei. Ein merkwürdiger Mensch! - Einige Wochen darauf war er tot; seine leßten Worte waren ein Gruß an seinen alten Schaufuß gewesen, und er möchte es nicht für ungut" nehmen.

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Mein Freund Schaufuß aber war von diesem Ende der Geschichte höchst befriedigt und zählte von nun an weibliche Mildtätigkeit zu den sozialen Faktoren. Mir aber blieb doch eine offne Frage: Soll man den Menschen erst halb tot schlagen lassen und dann den barmherzigen Samariter spielen, oder ist es nicht besser, den gefährlichen Wüstenweg von Jerusalem nach Jericho lieber gar nicht zu gehn?

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Du sollft nicht fehlen

3 war in der Tat höchst unvorsichtig von dem Herrn Kantor gewesen, daß er bei einer Sizung des landwirtschaftlichen Vereins, während man über die Wirkung der Forst- und Feldpolizeigeseze debattierte, gesagt hatte: Und was das Mausen angeht, so ist das ganz egal die Oberdorfer und die Unterdorfer mausen alle miteinander. Dieses ebenso große als gelassen ausgesprochne Wort hatte allseitige Zustimmung gefunden, selbst bei den Oberdorfern und Unterdorfern, denn zu bestreiten war die Sache nicht, sie mausten allerdings alle, und das mußten sie ja selber am besten wissen. Und es brauchte sich ja niemand bestimmt getroffen zu fühlen. Auf der Kölbischen Kirmes aber fingen die getreuen Nachbarn und desgleichen an zu höhnen und die Ober- und Unterdorfer auszulachen. Das kann kein Bauer vertragen. Grobheiten berühren ihn nicht sehr, auch sittliche Indignation macht wenig Eindruck auf sein Gemüt, wer aber den Bauer „blamiert," der macht sich ihn zum

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