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zu bearbeiten, ihn oft von Zeit zu Zeit wieder aufgenommen, und eigene Befriedigung geäußert, daß die Vollendung dieser Arbeit auch den Beschluß seines Lebens mache. Auch hat er selbst zu verstehen gegeben, daß dieses Gedicht als das Resultat aller Bestrebungen seines Geistes anzusehen sei. Es hat ein Allem diesem entsprechendes Interesse erregt. Da zuerst ein Fragment davon erschien, ist eine unbeschreibliche Begierde entstanden, mehr davon zu sehen. Es ward allgemein gefragt, ob eine Fortsegung erscheinen werde? ob der wundervolle Torso vollendet werden solle? Darauf ward behauptet, dieses sei unmöglich, es müsse ein Fragment bleiben. Lange Zeit war dieses ein Glaubensartikel, und der Verfasser schien selbst diese Meinung zu begünstigen, da er mitten in einem zweiten Theile wieder abbrach, und hinzusegte: kann fortgesett werden. Nämlich so in das Unendliche hin. War dieses wirklich die Meinung, sollte das Gedicht nur eine Darstellung des ganzen mannichfaltigen, verwirrten Laufs der Welt sein, so war es ebenso wenig möglich, dieses Gemälde abzuschließen, als das Ende der wirklichen Welt in der Zeit anzugeben. Ein Schluß, der das Ganze verbindet und aufklärt, konnte nur jenseits gesucht werden; und da Goethe unternahm, ihn anzufügen, mußte er ihn in den Himmel verlegen. Mit diesem Entschlusse spielte er aber seinen gläubigen Verehrern übel mit. Denn nun hieß es: jezt sei das Gedicht, das keinen Abschluß haben konnte, dennoch ein abgeschlossenes Ganze geworden; die im ersten

Theile aufgestellten Räthsel seien gelöset. Doch waren diese philosophische Aufgaben, und die im zweiten Theile enthaltene kann unmöglich für eine philosophische gelten. Sie ist aus einem alten Kirchenglauben genommen, der zu der Zeit, da Faust gelebt haben soll, allgemein verbreitet war. Für den, der nicht mit in diesem befangen ist, kann eine solche Auflösung nur für eine poetische gelten. Indessen haben sich die Be wunderer des Gedichtes auch dadurch nicht irre machen lassen. Sie behaupten fortwährend, Alles, was in ihm gesucht werden könne, finde sich wirklich darin unter der Hülle einer dichterischen Behandlung, die alle Gestalten annimmt. Es sei hier ein Inbegriff aller menschlichen Weisheit. Mit dem ganzen Gemische von volksthüm: lichen Darstellungen und Allegorieen werde der Kampf des Bösen mit dem Guten, der geistigen Natur des Menschen mit der Sinnlichkeit, der Sieg des gött: lichen Funkens in der Seele über seine irdische Hülle gemeint. In dieser Erklärung hat keiner den Englän der Carlyle übertroffen, und er hat sie so vollständig ausgeführt, so reichlich ausgestattet und dem Gedichte so angepaßt, daß seine Leser verleitet werden, in allen einzelnen Theilen des Werkes, das er im Tone eines Begeisterten preiset, Alles zu finden, was er hineinlegt. Dazu kommt noch die Autorität hinzu, die man dem Verfasser und seinen Landsleuten, Lord Levison, Gover und Andern zugestehen zu müssen glaubte, da sie sich in Weimar aufgehalten hatten, um aus der Quelle selbst zu schöpfen. Die Erklärung des Engländers schien

also vom Verfasser des Gedichts selbst herzurühren, und dieser, meinte man, müsse am Besten gewußt haben, was er eigentlich damit gewollt.

Daß Goethe vom Augenblicke an, da er den Gedanken zuerst faßte, die Sage vom Faust dramatisch zu behandeln, nur daran gedacht habe, Metaphysik in Poesie einzukleiden, wird nicht leicht Jemand behaupten, der das zuerst bekannt gemachte Fragment ansieht. Aber bloß eine dramatische Form eines alten Mährchens hat es doch auch nicht sein sollen. Die Sage hat einen tiefen Sinn, und der hat immer dem Volke eingeleuchtet. Daber das allgemeine Interesse an dieser Geschichte, ein stärkeres, als aller andern solchen Mährchen. Ueber das Princip des Bösen grübeln nicht bloß die Weisen aller Zeiten; auch der gemeinste Sinn, der ungebildetste Verstand erkennt, daß Gutes und Böses, sowie im einzelnen Menschen, so auch in der ganzen Weltgeschichte im Streite liegen. Der tiefste Denker sieht ein, daß er hier an einer Grenze der menschlichen Erkenntniß steht, die sein Geist nicht überschreiten kann. Der ungebildete Haufe fühlt, daß es etwas giebt, das auch der Weiseste nicht zu errathen vermag, und dieses gereicht ihm zum Troste in seiner Beschränktheit. Nun lautet das Mährchen: Wer zu viel wissen will, und wer zu viel haben will, den holt der Teufel; das ist die Strafe des Vorwizes; und wenn dieses dargestellt wird, so sieht das Volk zu, mit Entzücken, mit Grausen und mit Lachen.

Lessing hatte gut aufgefaßt, was mit der Sage

von Faust angedeutet wird, als er den Entwurf zu dem Drama machte, der in seinem Nachlasse aufbe= wahrt ist. Aber Alles, was in einem Pandämonion dramatisch ist, hatte er mit der einzigen Scene_erschöpft, da der Geist vor der nächtlichen Lampe des Faust erscheint. Lessing hat gefühlt, daß der Gedanke, den er in einem freundschaftlichen Gespräche hingeworfen hatte, nicht tauglich sei, ausgeführt zu werden, und ihn deßwegen aufgegeben. Das Epigramm, der schnellste Teufel sei, der dem Uebergange vom Guten zum Bösen gleichkomme, leuchtet und brennt. Wie könnte es aber finnlich dargestellt werden?

Wer das philosophische Thema des Faust im höchsten und edelsten Style poetischer Einkleidung sehen will, nehme den Cain des Lord Byron. Dieser hat vermocht, was Schiller nicht erreichen konnte, und Goethe nie im Ernste versucht hat, eine Welt der Ideen mit einem dichterischen Gewande zu bekleiden, und den Verstand mit der Einbildungskraft zu verschmelzen, um damit den ganzen Menschen über das Sinnliche zu erheben. In jenem vollkommen schönen und höchst rührenden Gedichte treten die philosophischen Gedanken in der Darstellung einer schrecklichen That hervor, im ersten Morde, einem Brudermorde und den Motiven desselben. Die Wehmuth der unschuldigen, mitleiden= den Zeugen mildert aber das Schreckliche des Gegenstandes; und dadurch wird er dramatisch. Dieses ist die Reise des Geistes mit dem Cain im zweiten Akte des Stückes nicht, in welchem die Unvollkommenheit

und die Widersprüche der finnlichen Schöpfung aus ihrer Wurzel, in der intellectuellen Welt erklärt werden. Aus einem Reiche der Geister kann wohl ein oder ein anderes Gespenst in der irdischen Welt auftreten; aber eine ganze Welt unsichtbarer Wesen dürfte nur als eine heitere Phantasie vorgeführt werden. Vor einer ernsthaften Darstellung würde Jeder zurückschaudern. Als ein Gedicht ist indessen auch dieser Theil von Lord Byron's Cain vortrefflich; aber es ist kein Drama.

Goethe hat die Sache anders angegriffen. Da aber die Sage auf mehr, als eine Weise ausgelegt werden kann, so ist die erste Frage, welcher Sinn derselben ihm denn vorschwebte. Mehrere deutsche Kritiker haben indessen schon behauptet, daß in dieser Auflösung wenigstens die Frage, welche aus der tiefsten Metaphysik geholt wird, verfehlt ist. Vorzüglich hat Herr Eck in seinen Briefen über Goethe's Faust (Wien 1834) dieses vortrefflich gezeigt. Man könnte indessen noch eher sagen, daß der Dichter sich eine andere Aufgabe gesezt hatte, diese aber verlassen, und eine andere untergeschoben habe, eben die, welche gar nicht in einem dramatischen Gedichte gelöset werden kann.

Es ist nicht der tiefe Mißmuth und die Verzweiflung über die innern Widersprüche in der menschlichen Natur und über die Schranken derselben, wodurch der Faust der Sage verleitet wird, in der schwarzen Magie Hülfe zu suchen, sondern vielmehr nur der Unwille darüber, daß ihm, ihm versagt ist, was ein Anderer,

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