Die Historie von der schönen Lau

Front Cover
Edition Axel Menges GmbH, 2014 - Art - 47 pages
Gibt es Wassergeister? Eher nicht, obgleich vieles existiert, was sich unserer unmittelbaren Wahr-nehmung entzieht. Nur manchmal, wenn wir fern vom alltäglichen Getriebe einsam an Ufern von Flüssen, Seen oder Meeren sitzen, auf dunkle Wasserflächen blicken, den Geruch des Wassers aufnehmen und unser Ohr dem Murmeln herannahender Wellen zuwenden, kann es sein, daß wir dem Zauber der Situation erliegen und den Geist des Ortes erspüren. Denn die vielen Erzählungen über Wassergeis-ter, Wasserfrauen und Nixen sind wahrscheinlich nicht anders entstanden, denken wir nur an das wunderbare Märchen von Hans Christian Ander-sen, in dem sich ein Wassergeist, die kleine Meer-jungfrau, in einen Prinzen verliebt, der ihre Liebe nur bedingt erwidert. Von einem bösen Wasser-geist ist bei den Gebrüdern Grimm die Rede, von einer schönen, aber gefährlichen Nixe, die in ei-nem Weiher lebt und die denjenigen, der sich mit ihr einläßt, schließlich ins Unglück treibt. Die schöne Lau, von der Eduard Mörike er-zählt, ist nur ein halber Wassergeist, denn ihre Mutter war eine Menschenfrau und ihr Vater ein Wassernix fürstlichen Geblüts. Zwischen den Zehen hat sie dünne Schwimmhäute, sonst unterscheidet sie sich äußerlich nicht von den Men-schen. Weil sie nicht lachen und nur tote Kinder gebären kann, wird sie von ihrem Gemahl, dem Donaunix, in den Blautopf geschickt. Erst, wenn sie fünfmal gelacht hat, darf sie zurückkehren. Der Blautopf befindet sich in Blaubeuren, dort, wo die Blau entspringt. Es handelt sich um einen »Quelltopf«, dem Ende eines Höhlensystems, das erst in den 1950er Jahren erforscht wurde. Eine der riesigen Höhlenhallen, die dabei entdeckt wurden, der sogenannte Mörike-Dom, ist 25 m breit, 30 m hoch und 125 m lang. Die Farbe der Quelle verändert sich je nach Lichteinfall von türkisblau bis hin zu dunkelblau und wirkt an sonnenbedeckten Tagen fast schwarz. In der Zeit der deutschen Romantik gab der Blautopf natürlich Anlaß zu allerlei Spekulationen und Geschichten. Auch einer der prominentesten Vertreter des schwäbischen Dichterkreises, Eduard Mörike, der 1840 auf einer Reise in Blaubeuren übernachtete, hat sich von diesem Ort inspirieren lassen. Die Erzählung, die anschließend entstand, ist eigentlich Teil der Geschichte Das Stuttgarter Hutzelmännlein, wird aber oft, wie wir es auch tun, als Einzelerzählung herausgegeben. Die zusammen mit dem Germanisten Carl Wege in einem alten Schleusenhaus bei Bremen lebende Künstlerin Dorothee Menzel war von Mörikes Erzählung so fasziniert, daß sie eine Vielzahl von Illustrationen angefertigt hat, die in dem vorliegenden Band präsentiert werden.

Bibliographic information