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aus der

Literatur und Moral.

Erstes Stück.
Christian August Heinrich Clodius.

Leipzig,
bey Bernhard Christoph Breitkopf und Sohn,

Borrede

ie geistreichen Schriften der Griechen und Römer verlieren ihre Hoheit

und Würde unter den Händen eie hes Lesers und Kunstrichters, der die philosophi sche Kenntniß und die Zergliederung der Wahrheit und Schönheit vernachlässigt, es nie wagt, sich über die Kritik der Sprache zu erheben, und den Homer für einen Mann ansicht, der geschrieben hat, um den Scholiasten Gelegenheit zu geben, die die Grundsäße der Sprache zu erläutern, oder dem Aristarch seinen Asteriskus anzus bringen. Ermüdet von dem rauhen und stels nigten Wege, den er mühsam durchwandert, ruhe er an dem Tempel des Geschmacks, und entschläft, wie die Eumeniden des Aeschylus an dem Tente pel des Apoll; was man von ihm hört, ist ein kritischer goyxos.

Die Werke der Alten werden unterden Hắnden eines Lesers und Kunstrichters verunstaltet, der sich ganz über die Kritik der Sprache hins ausscht, die sorgfältige Prüfung der Handschrif

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ten, Lesarten, Erklärungen und Scholiasten, und den historischen Theil der Literatur verwirft, mit sicherm Stolze auf die ernsthafte Sorgfält der wahren Kenner des Alterthums herabsieht, und metaphysisch erklärt, wo er ein Sprachlehrer seyn sollte. Man erfährt von ihm, wie die Scribenten geschrieben haben könnten, wenn wenn sie seinem Rathe gefolgt håtten; aber sehr selten, auser durch einen Zufall, wie sie geschrieben ha ben. Sorglos flattert er über die Oberfläche dahin, spricht im entscheidenden Tone, wo er erklären und beweisen sollte, und gleicht dem Ca ligula, der den griechischen Bildsäulen den Kopf abschlagen läßt, um den seinigen darauf zu feßen.

Nur der darf sich rühmen, die wahre Absicht erreicht zu haben, der die ernsthafte Kritik der Sprache und Kenntniß der Geschichte und Alterthümer, mit philosophischer Richtigkeit und einer aufmerksamen Betrachtung ihrer Originalerfindungen und Denkungsart verbindet.

Das Wahre, das Erhabne, das Sanfte und Schöne fleißig bemerken, nach einer strengen grammatischen Beurtheilung in das Innerste der Scribenten eindringen, den Plan ihrer Werke

Werke herausziehen, das Verhältniß der Theile unter sich selbst und mit dem Ganzen abmessen, ihre Gemälde mit der Natur vergleichen, die Leidenschaften prüfen, beym Ausdrucke untersuchen, ob er dem. Genie der Sprache überhaupt, dem angenommenen oder geschaffenen Charakter, und der gegenwärtigen Situation angemessen ist; nicht nur die blendenden Schönheiten, sone dern auch die verborgnen Reize ausspåhen, die fich, wie die Galatee des Virgils, hinter dem Baume verbergen, um erhascht zu seyn; Originale ́mit Copien vergleichen, und die erworbne Kenntniß nicht zur Eitelkeit, sondern zur Aufe klärung des Verstandes und zur Bildung des Herzens anwenden; dieß nur ist der edle Beruf eines Lesers und Kunstrichters, der durch eine behutsame Nachahmung seine theoretische Kenntniß brauchbar machen will.

Young mag dem Pope den Verdienst, Original zu seyn, absprechen; hat er die Alten beraubt, so erobert er wenigstens wie ein König, der sich die Provinz huldigen läßt, die er mit Gewalt einnimmt. Es liegt wenig daran, ob Die Gefeße, die er von der Kritik giebt, aus dem Aristoteles und Horaz geschöpft find : und

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