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als verbindlich anerkannt sei, behauptete er, jener Beschluß sei zit Recht erfolgt. Der Absaß 2 im §. 10 des Gesetzes spreche nur aus, daß in den erwähnten beiden Fällen die Entlassung beschlossen werden müsse; sie dürfe dagegen auch in anderen Fällen erfolgen; selbstverständlich ende die Zwangserziehung z. B. durch Tod oder eintretenden Jrrsinn. Ueberhaupt brauchten nach dem Geseze dem Beschlusse Gründe nicht hinzugefügt zu werden; schon daraus folge, daß etwa hinzugefügte unzutreffende Gründe den Beschluß keineswegs nichtig machen könnten. Um so weniger dürfe jeßt nach mehreren Jahren noch auf die Gründe der Entlassung zurückgegriffen werden. Abgesehen davon, seze jede Zwangserziehung die Möglichkeit einer Erziehung voraus; da es hieran gefehlt habe, sei der Beschluß völlig begründet gewesen. Durch Aufhebung der Zwangserziehung verliere aber der Beschluß des Gerichts seine Kraft. Jedenfalls könne nicht auf Grund des früheren Beschlusses wegen neuer Exzesse des Knaben und wegen veränderter Verhältnisse die Wiederaufnahme verlangt werden; dazu bedürfe es eines neuen Be= schlusses; gegen den ablehnenden Bescheid des Amtsgerichts habe Beschwerde erhoben werden können. Uebrigens entbehre auch der erste Beschluß vom 28. Oktober 1882 der Gültigkeit, weil die thatsächlichen Vorausseßungen dafür, wie sie das Gesez erfordere, nicht vorhanden gewesen seien. Zum Nachweise der Bildungsunfähigkeit des Knaben im Jahre 1884 und der Thatsache, daß gegenwärtig seine Zwangserziehung nur mit besonderen Mitteln zu ermöglichen sei, wurde auf das Gutachten der Vorsteher in den Anstalten zu Haus N. und Haus H. Bezug genommen.

Das Oberverwaltungsgericht erkannte den Provinzialverband für schuldig, die Zwangserziehung des Knaben D. auf Grund des Beschlusses des Amtsgerichts J. vom 28. Oktober 1882 fernerweit zur Ausführung zu bringen.

Gründe:

Bei der Beurtheilung ist auszugehen von dem §. 15 des Gesezes vom 13. März 1878, wonach das Oberverwaltungs

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gericht auf den Antrag des Oberpräsidenten entscheidet, wenn einer der im §. 7 genannten Verbände die ihm nach dem Geseßè obliegenden, von der Behörde innerhalb der Grenzen ihrer Zuständigkeit festgestellten Leistungen verweigert. Daß der Beklagte im vorliegenden Falle die vom Kläger verlangte Wiederaufnahme der im Jahre 1884 eingestellten Zwangserziehung des Knaben D., wenn sie auch einstweilen thatsächlich erfolgt ist, doch rechtlich verweigert hat und noch verweigert, ergiebt sich aus dem Thatbestande. Es kann sich daher nur fragen, ob diese Weigerung auf geseßlicher Grundlage ruht.

In dieser Beziehung beruft sich der Beklagte zunächst auf die Bestimmungen im §. 10 des Gesezes, wonach mit dem im Februar 1884 gefaßten Beschluffe, den Knaben aus der Zwangserziehung zu entlassen, das Recht der Zwangserziehung aufgehört und der Beschluß des Amtsgerichts vom 28. Oktober 1882 seine Wirksamkeit verloren haben soll. Dieser Auffassung kann nicht beigetreten werden; wie der Kläger mit Recht betont, würde sie im schließlichen Erfolge dahin führen, daß es völlig im Belieben der verpflichteten Verbände stände, ob sie die Beschlüsse der Vormundschaftsgerichte zur Ausführung bringen wollten oder nicht. Wäre es geltenden Rechtens, daß einem Entlassungsbeschlusse Gründe überhaupt nicht beigefügt zu werden brauchten und daß die Verbände auch hinterdrein über die Gründe der Entlassung keine Rechenschaft zu geben hätten, oder daß es völlig unerheblich sei, ob für die Entlassung unzutreffende Gründe geltend gemacht seien, so würden die Verbände rechtlich nicht behindert sein, sich der ihnen durch das Gesez auferlegten Verpflichtungen selbst im ganzen Umfange zu entledigen, indem sie die zur Zwangserziehung überwiesenen Kinder zwar übernähmen, aber alsbald wieder definitiv entließen. Daß der Gesetzgeber einen solchen Rechtszustand geschaffen haben sollte, kann gewiß nicht vorausgesetzt werden; eher läßt sich behaupten, eine derartige Rechtslage dürfe von vorn herein als eine unannehmbare bezeichnet werden. Dem Beklagten steht denn auch das Geset keineswegs zur Seite; der §. 10 muß vielmehr in seinem Zu

sammenhange dahin aufgefaßt werden, daß nicht jedem, sondern nur demjenigen Entlassungsbeschlusse, welcher sich als ein dem Geseze entsprechender darstellt, die im Geseße vorgesehenen rechtlichen Folgen zukommen. Die beiden, hier in Betracht kommenden ersten Abfäße des §. 10 lauten in der durch das Gesetz vom 23. Juni 1884 festgestellten Fassung folgendermaßen:

Das Recht der Zwangserziehung hört, abgesehen von der Aufhebung des Unterbringungsbeschlusses im Falle des §. 5, auf:

1. mit dem vollendeten achtzehnten Lebensjahre des Zöglings,

2. mit dem Beschlusse der Entlassung aus der Zwangserziehung.

Die Entlassung aus der Zwangserziehung ist von dem verpflichteten Kommunalverbande zu beschließen, sobald die Erreichung des Zweckes der Zwangserziehung anderweit sichergestellt oder dieser Zweck erreicht ist. Ist dies zweifelhaft, so kann von dem Verbande eine widerrufliche Entlassung verfügt werden, welche das Recht zur Zwangserziehung nicht berührt. Der erste Absaz kann von dem zweiten nicht losgelöst werden; ein das Recht der Zwangserziehung beendender Beschluß ist deshalb nur dann vorhanden, wenn der Beschluß darauf beruht, daß der Zweck der Zwangserziehung entweder erreicht oder anderweit sichergestellt ist. Nur in diesen beiden Fällen darf die endgültige Entlassung beschlossen werden; ist weder der eine noch der andere gegeben, so kann nur eine widerrufliche Entlassung verfügt werden. Allerdings legt der Beklagte das Gesez anders aus; er meint, der §. 10 Absay 2 schreibe nur vor, in welchen Fällen die Entlassung erfolgen müsse, enthalte sich aber jeder Bestimmung, in welchen Fällen die Entlassung erfolgen dürfe. Hierfür spricht der Wortlaut jedenfalls nicht und, sofern auf die Absicht des Gesetzgebers zurückgegangen werden soll, ergeben sich die erheblichsten Bedenken, weil es dann gänzlich ins Belieben der Verbände

gestellt sein würde, jederzeit die definitive Entlassung eines Kindes anzuordnen und damit den Zweck des Gefeßes zu vereiteln. Der Beklagte hat denn auch für seine Ansicht etwas Weiteres nicht anzuführen vermocht, als daß die Zwangserziehung zweifellos auch in anderen, als den genannten beiden Fällen, z. B. durch den Tod oder eintretenden Irrsinn, enden müsse, die Aufzählung im Geseze also jedenfalls keine erschöpfende sein könne. Dieser Gesichtspunkt läßt sich indeß als durchschlagend nicht betrachten. Beim Ableben eines Kindes kann von einer Entlassung desselben nicht mehr die Rede sein; diesen Fall zu erwähnen, war also nicht thunlich. Verfällt aber das Kind in unheilbare Geisteskrankheit, so liegt die rechtliche und thatsächliche Unmöglichkeit einer Zwangserziehung zu Tage; es bedarf deshalb auch hier keiner besonderen Vorschrift, daß eine Entlassung statthaft sei. Der Beklagte hätte für seine Auffassung vielleicht noch die Verhandlungen über den Entwurf zu dem Geseze vom 23. Juni 1884 heranziehen können, da hierbei allerdings von Seiten cinzelner Redner und auch der Kommission des Abgeordneten= hauses Ansichten aufgestellt sind, welche in gewissem Sinne sich dem Standpunkte des Beklagten nähern; denselben kann indeß eine maßgebende Bedeutung für die Auslegung des ohnehin früher erlassenen Gesezes nicht zugestanden werden, sodaß es eines näheren Eingehens darauf nicht bedarf.

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Schließlich steht dem Beklagten unter allen Umständen das auf Grund des §. 13 des Gesezes für die Provinz W. erlassene und folglich für ihn verbindliche Reglement vom Jahre 1880 entgegen; denn in demselben ist bestimmt :

In allen Fällen, wo der Zweck der Zwangserziehung nicht zweifellos erreicht oder anderweit sichergestellt ist, kann die Entlassung nur eine widerrufliche sein und es bleiben in diesem Falle die widerruflich Entlassenen zur Verfügung des Verwaltungs-Ausschusses resp. der Kommission desselben, sodaß sie bei schlechter Führung jederzeit zur Zwangserziehung zurückgeführt werden können.

Dadurch wird eine endgültige Entlassung in jedem Falle, wo der Zweck der Zwangserziehung nicht zweifellos erreicht oder anderweit sichergestellt ist, unbedingt ausgeschloffen.

Bleibt hiernach zu prüfen, ob der Beschluß des Verwaltungs-Ausschusses vom Februar 1884 auf einer der beiden gefeßlichen Vorausseßungen beruht, so muß dies offenbar in Abrede genommen werden. Der Beschluß liegt zwar in seiner ursprünglichen Gestalt nicht vor; sein Inhalt erhellt aber zur Genüge nicht bloß aus der bei den Akten befindlichen Mittheilung an das Landrathsamt zu T. vom 23. Februar 1884, sondern auch aus den im Laufe der Verhandlungen und im jezigen Streitverfahren abgegebenen Erklärungen des Beflagten. Die Entlassung des D. ist nicht verfügt, weil der Zweck der Zwangserziehung erreicht oder anderweit sichergestellt sei, sondern weil der Zweck wegen völliger Bildungsunfähigkeit des Knaben nicht erreicht werden könne. Lezteres ist kein geseßlicher Grund zur Entlassung. Das Gesetz geht von dem Gedanken aus, daß die Zwangserziehung, wenn sie bis zum achtzehnten Lebensjahre, eventuell bis zur Großjährigkeit, fortgesezt werde, immerhin einigen Erfolg aufzu= weisen haben müsse; es scheidet nicht von vornherein gewisse Klassen verwahrloster Kinder um deswillen aus, weil die Zwangserziehung bei ihnen voraussichtlich ohne Wirkung bleiben werde; für alle verwahrlosten Kinder ist deshalb vorgesehen, daß sie, nachdem der erforderliche Beschluß des Vormundschaftsrichters ergangen ist, bis zu einem bestimmten Lebensalter der Zwangserziehung unterworfen werden sollen. Erst bei Erreichung dieses Alters verzichtet der Staat auf die Fortführung der Zwangserziehung. Wenn daher ein Kind aus dem Grunde entlassen wird, weil die Zwangserziehung für dasselbe zwecklos sei, so läuft das auf eine Verneinung des Gedankens, von welchem das ganze Gesez getragen wird, und folgeweise auf einen Widerspruch mit dem Ziele und Zwecke des Gesezes hinaus. Die Zwangserziehung muß eben so lange fortgeseßt werden, bis entweder ihr Zweck erreicht bezw. anderweit sichergestellt ist oder die geseßliche Altersgrenze

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