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in welcher die Innung ihren Siz hatte, sondern höchstens Sache der Gemeindebehörde als der Aufsichtsbehörde für die Innung sein kann, und obwohl die Gemeinde nur einen Anspruch auf den im Abs. 3 des §. 94 der Reichs-Gewerbeordnung bezeichneten Rest des Vermögens der Innung hat, so ist hierauf kein besonderes Gewicht zu legen. Es liegt bloß eine nicht ganz richtige Fassung des Klageantrages vor. Nach der gesammten Sachlage ist die Klage als eine solche der Stadtgemeinde auf Feststellung der Verpflichtung der Beklagten, nach und in Folge ihrer zwangsweifen Schließung ihr Vermögen gemäß Abs. 3 des §. 94 zur Benußung für gewerbliche Zwecke herauszugeben, aufzufassen, wie denn auch der Vertreter der Klägerin in der Berufungsinstanz ausdrücklich erklärt hat, daß die Stadtgemeinde als Rechtsnachfolgerin der geschlossenen Innung habe klagen wollen, in der Absicht, das Innungsvermögen zur Verwendung für gewerbliche Zwecke an sich zu bringen.

Hiernach fällt der Rechtsstreit unter den §. 125 Abs. 1 des Zuständigkeitsgeseßes. Sein Gegenstand ist allerdings nicht eine einzelne Streitigkeit, die bei der Liquidirung des Vermögens der Beklagten nach den Abs. 1 bis 3 des §. 94 der Reichs-Gewerbeordnung hervorgetreten ist. Ein Liquidationsverfahren ist noch nicht eingeleitet, und Streitigkeiten innerhalb eines Liquidationsverfahrens sind daher noch nicht vorhanden. Was jezt zu entscheiden ist, ist lediglich die Frage, ob die Beklagte eine sogenannte alte Innung ist und deshalb auf Grund des Art. 3 des Gesezes vom 18. Juli 1881 ihre Schließung angeordnet werden konnte, diese Frage aber allerdings nicht bloß für eine einzelne Streitigkeit und als Inzidentpunkt einer solchen, sondern ganz allgemein und so, daß ihre Beantwortung für alle Streitig= keiten, die bei der Anwendung der Abs. 1 bis 3 des §. 94 der Reichs - Gewerbeordnung auf das Vermögen der Beklagten in Folge ihrer Schließung zwischen ihr und der Klägerin entstehen können, maßgebend ist. Indessen auch eine derartige Entscheidung ist durch den Abs. 1 des §. 125 des Zuständigkeitsgeseßes den Bezirksausschüssen überwiesen. Es wäre nicht abzusehen, weshalb das Verwaltungsstreitverfahren nur über die einzelnen Streitigkeiten und die in solchen Streitigkeiten zu entscheidende Vorfrage der Zulässigkeit der Schließung eröffnet sein sollte, und nicht auch

über die lettere für sich selbst und allgemein. Der Wortlaut des §. 125 Abs. 1 nöthigt nicht zu einer so engen Auslegung, und auch die Materialien des Gesezes enthalten nichts, was für sie spräche.

Daß für das hiernach zulässige Verwaltungsstreitverfahren die Beklagte troß ihrer Schließung noch passiv legitimirt ist, kann keinem Bedenken unterliegen. Löst sich eine Innung auf, fällt also damit das bisherige Subjekt für das vorhandene Innungsvermögen (Aktiva und Passiva) fort, so muß, um dieses der Verwendung, welche es nach den Abs. 1 bis 3 des §. 94 der ReichsGewerbeordnung finden soll, zuzuführen, bis zur Beendigung des hierzu nothwendigen Liquidationsverfahrens die Innung tro ihrer Auflösung als noch für die Zwecke des Liquidationsverfahrens fortbestehend angesehen werden, ähnlich wie es z. B. auch der Fall ist bei Auflösung der Gesellschaften des Handelsrechts (Deutsches Handelsgeseßbuch Art. 133 ff., 172, 205, 244a), einer eingeschriebenen Hülfskaffe (§. 30 des Gesezes über die einge7. April 1876 schriebenen Hülfskaffen vom ), einer Ortskrankenkasse 1. Juni 1884

15. Juni 1883

(§ 47 des Krankenversicherungsgesezes vom 10. April 1892), einer eingetragenen Genossenschaft (§. 81 des Gesezes, betreffend die Erwerbs- und Wirthschaftsgenossenschaften, vom 1. Mai 1889), einer Wassergenossenschaft (§§. 34 ff. des Wassergenossenschaftsgesehes vom 1. April 1879) u. s. w. Daß der §. 94 nur „materielle Bestimmungen über die Verwendung des Innungsvermögens im Falle der Auflösung enthält, es aber unterläßt, Vorschriften darüber zu treffen, in welcher Weise und durch wen jene Bestimmungen zur Ausführung gebracht werden sollen" (Begründung zu §. 103a der Novelle vom 18. Juli 1881, Drucksachen des Reichstags, 4. Legislaturperiode, IV. Session 1881 Nr. 49 S. 28), kann nur Zweifel über die Einzelheiten des Liquidationsverfahrens erregen, namentlich darüber, wie weit nunmehr die jezt im §. 103a der Reichs-Gewerbeordnung für die Auflösung einer neuen Innung zur „Vervollständigung in ähnlicher Weise, wie es durch das Gesetz vom 7. April 1876 für die eingeschriebenen Hülfskassen geschehen ist“ (a. a. D.), getroffenen Vorschriften auch bei den alten Innungen zur Anwendung gebracht werden dürfen, vermag aber die Annahme eines Liquidationsverfahrens und einer Fortexistenz der Innung bis zu dessen

Beendigung nicht auszuschließen. Diese Annahme ist nach der Natur der Sache so sehr nothwendig und von selbst gegeben, daß es keines besonderen Ausdruckes im Geseze bedurfte. Ein Liquidationsverfahren und die Forteristenz der Innung für dessen Zwecke ist denn auch für den Fall des §. 94 schon wiederholt in Theorie (z. B. von von Landmann, Gewerbeordnung, 2. Aufl., Bd. 1 S. 580 Anm. 1 zu §. 94, von Schenkel, Gewerbeordnung, 2. Aufl., Bd. 2 S. 55, Anm. 2 und 3 zu §. 94) und in Praxis (Beschluß des Kammergerichts vom 29. September 1890 in Reger's Entscheidungen Bd. 11 S. 272 und im Jahrbuch für Entscheidungen des Kammergerichts Bd. 10 S. 90, sowie die Verordnung des Königlich Sächsischen Ministeriums des Innern vom 27. Februar 1892 in Reger's Entscheidungen Bd. 13 S. 31) angenommen worden. Was so von einer Innung gilt, die sich selbst auflöst, hat auch von einer zwangsweise geschlossenen Innung zu gelten.

Anlangend die Sache selbst, so hat das Allgemeine Landrecht in dem von den Kaufleuten handelnden siebenten Abschnitte des 8. Titels Theil II den Betrieb kaufmännischer Geschäfte unter dem Schuße des Staates an eine Erlaubniß der Obrigkeit gebunden (§. 476) und die damals vorhandenen Kaufmannsgilden und Innungen in der Weise fortbestehen lassen, daß es bestimmt hat, wer in eine solche Kaufmannsgilde oder Innung aufgenommen werden wolle, müsse den Erfordernissen der Innungsartikel, sowohl in Ansehung der Lehrjahre als sonst, ein Genüge leisten, und an Drten, wo dergleichen Innungen beständen, habe nur der, welcher darin aufgenommen sei, die Rechte eines Kaufmanns, vorbehaltlich des Rechts des Staates, auch an solchen Orten einzelnen Personen außerhalb der Innung die Befugniß zum Handel durch besondere Konzessionen zu ertheilen (§§. 479 bis 481).

Diesen Rechtszustand änderte zunächst das Edikt vom 2. November 1810 über die Einführung einer allgemeinen Gewerbesteuer (G.-S. S. 79 ff.) insofern ab, als es, nachdem schon vorher für einzelne Gewerbe der Zunftzwang beseitigt worden war (vergl. von Roenne, Die Gewerbe-Polizei des Preußischen Staates Bd. I S. 249 ff.), ganz allgemein jedem, der einen Gewerbeschein gelöst hatte, das Recht gab, das darin benannte Gewerbe zu treiben (§§. 16, 17, 31). Ergänzend verordnete das Gesetz vom 7. September 1811 über die polizeilichen Verhältnisse

der Gewerbe (G.-S. S. 263 ff.), daß derjenige, welcher bisher nicht zünftig gewesen, auf Grund seines Gewerbescheins jedes Gewerbe treiben könne, ohne deshalb genöthigt zu sein, irgend einer Zunft beizutreten, auch berechtigt sei, Lehrlinge und Gehülfen anzunehmen, und daß, wer bisher zünftig gewesen, dem Zunftverbande zu jeder Zeit entsagen dürfe. Es bestimmte ferner, daß jedes Gewerk sich durch gemeinsamen Beschluß selbst auflösen dürfe und die Landespolizeibehörde befugt sei, jedes Gewerk zu jeder Zeit für aufgelöst zu erklären. Aus dem gemeinschaftlichen Vermögen des Gewerks, das sich selbst aufgelöst habe oder für aufgelöst erklärt worden sei, müßten zuvörderst alle seine Schulden getilgt werden, was sodann etwa übrig bleibe, werde insofern freies Eigenthum der Mitglieder, als bei dem Gewerke keine Bankgerechtigkeiten vorhanden seien, zu deren Ablösung es verwandt werden müsse. Das Gewerk könne durch Stimmenmehrheit unter Genehmigung des Magistrats diesen Ueberschuß zu gemeinnüßigen Zwecken bestimmen; finde aber keine solche Einigung statt, so werde er unter alle vorhandenen Meister und das Gewerbe fortseßenden Meisterwittwen zu gleichen Theilen vertheilt (§§. 6, 7, 14, 19, 24 bis 27, 29, 30). Wenn auch so alle bisherigen gewerblichen Vorrechte der Innungen und jeder Zunftzwang aufgehoben wurden, so blieben doch die vorhandenen Innungen und Zünfte faktisch fortbestehen (von Roenne a. a. D. S. 252, 253). Neue Innungen aber konnten nur noch gebildet werden, falls es von Landespolizeiwegen in besonderen Fällen zu einem gemein= nüßigen Zwecke nöthig erachtet wurde, Gewerbetreibende gewisser Art in eine Korporation zu vereinigen, worauf dann jeder verpflichtet war, dieser Korporation beizutreten, so lange er das betreffende Gewerbe betrieb (§. 31 des Gesetzes vom 7. September 1811). Auf Grund dieser Bestimmung wurden in acht Städten, nämlich in Berlin, Stettin, Danzig, Memel, Tilsit, Königsberg, Elbing und Magdeburg, besondere kaufmännische Korporationen errichtet und für sie Statuten erlassen, durch die der Erwerb kaufmännischer Rechte von dem Beitritt zu der Korporation ab= hängig gemacht wurde (von Roenne a. a. D. Bd. II S. 649).

Die zur Zeit des Erlaffes des Allgemeinen Landrechts vorhandenen Kaufmannsgilden und Innungen, die das Allgemeine Landrecht bestehen gelassen hatte, sind somit auch nach der Geseß

gebung von 1810/1811 bestehen geblieben, sie haben nur ihre Vorrechte, namentlich auch die ausschließlichen Gewerbebefugnisse, die ihnen etwa zustanden, verloren.

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Auf dieselben kamen sodann die Vorschriften der Preußischen Gewerbeordnung vom 17. Januar 1845 über Innungen von Gewerbetreibenden, Tit. VI, einschließlich der §§. 95 bis 99 wonach eine Innung sich selbst auflösen und auch gegen ihren Willen durch die Ministerien aufgelöst werden konnte, im Falle der Auflösung das Vermögen der Innung zuvörderst zur Berichtigung ihrer Schulden und zur Erfüllung ihrer sonstigen Verpflichtungen verwendet werden mußte, und der sodann verbleibende Ueberschuß zunächst zur Befriedigung der etwa vorhandenen Entschädigungsansprüche für aufgehobene ausschließliche Berech= tigungen einzelner Mitglieder zu verwenden war, soweit er aber dazu nicht erforderlich und in den Statuten nicht ein Anderes ausdrücklich bestimmt war, der Gemeinde, in welcher die aufgelöste Innung ihren Siß hatte, zur Benußung für gemeinnüßige Zwecke · überwiesen wurde ebenfalls zur Anwendung. Es ergiebt sich dies klar aus dem Abs. 2 des §. 94, durch welchen, nachdem im Abs. 1 die fernere Fortdauer aller zur Zeit geseßlich bestehenden Korporationen von Gewerbetreibenden (ältere Innungen) mit der Maßgabe, daß die Befugniß zum Betrieb eines Gewerbes, für welches in dem Orte oder Distrikte eine solche Korporation (Innung) bestehe, von dem Beitritt zu derselben nirgends abhängig sein solle, ausgesprochen worden, vorgeschrieben ist: Soweit aber der Erwerb der kaufmännischen Rechte nach den bestehenden Vorschriften durch den Beitritt zur kaufmännischen Korporation bedingt ist, behält es dabei sein Bewenden,"

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und aus dem §. 109, welcher lautet:

„Die §§. 107, 108 finden auf die kaufmännischen Korporationen keine Anwendung; in Ansehung dieser bewendet es bei den bestehenden Vorschriften",

in welchem also mittelbar anerkannt wird, daß die sonstigen Bestimmungen des Titels, außer den §§. 107, 108, auf die kaufmännischen Korporationen Anwendung finden. Irgend eine Unterscheidung zwischen den kaufmännischen Korporationen ist dabei nicht gemacht, so daß sie sämmtlich unter den Titel VI fielen.

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