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den Dichter, in allgemein verständlicher, volksthümlicher Sprache zu reden. Daher jene treffenden, immer naheliegenden Bilder, jene Klarheit des Ausdrucks und jene Einfachheit der Darstellung, welche wir bei den russischen Dichtern selbst da antreffen, wo sie sich in den künstlichsten Formen bewegen.

Jedem, für dergleichen empfänglichen Reisenden, in Rußland wie in allen slavischen Ländern, muß die Meisterschaft auffallen, welche selbst die Bauern hier im Erzählen entwickeln, und die Fülle wirksamer Bilder und Mittel, welche ihnen dabei zu Gebote steht. Mickiewicz führt in seinen >> Vorlesungen über slavische Literatur und Zustände (3. Jahrgang, S. 220)« ein besonders charakteristisches Beispiel der Art an. Ein Bauer erzählt den Gästen in der dunkeln Wirthshausstube eine Fabel, in welcher er selbst den Helden spielt. Er ist gegangen, den » wunderbaren Vogel« aufzusuchen, findet aber nur eine Feder, die der Vogel beim Vorüberfliegen verloren, die aber solchen Glanz hat, daß, als der Bauer sie in's Zimmer bringt, dasselbe wie von einer Fackel erleuchtet ist. Hier zündet der Erzähler unversehens eine Hand voll Späne an; diese auflodernde Flamme erschüttert alle Anwesenden und läßt sie den entsprechenden Eindruck lebhaft fühlen.

In einer andern Fabel, in welcher von der krystallenen Burg verzauberter Prinzessinnen die Rede ist, und dem Ritter aufgegeben wird, die seinige herauszufinden was ihm deshalb unmöglich, weil alle verzauberten Prinzessinnen wie Sterne einander gleichen öffnet der erzählende Bauer plöglich das Fenster und zeigt seinen Zuhörern den hinter durchsichtigen Wolken von Sternen funkelnden Winterhimmel, der besser als jede Theaterleinwand eine krystallene Burg veranschaulicht . . .

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Die erste Pflanzschule ruffischer Bildung und Kunst war die Kirche, welche ihre eigene, der Masse des Volkes unverständliche Sprache hatte. Im Gegensatz zu dieser slawonischen, durch ihre Schrift wie durch ihren Wort und Sazbau im

Griechischen wurzelnden Kirchensprache, wurde die volksthümliche Sprache des Landes zur Trägerin der besonders an lyrischen Erzeugnissen überaus reichen Volkspoesie.

Mit der Versöhnung und wechselseitigen Durchdringung dieser sprachlichen Gegensäge beginnt die Zeit der russischen Kunstpoesie, welche in Fürst Kantemir und Lomonosseff ihre Vorläufer, in Dershawin ihren Begründer, und in Puschkin, dessen ebenbürtiger Nachfolger Lermontoff war, ihren höchsten Ausdruck fand. Ihre Anfänge fallen zusammen mit den Anfängen des russischen Kaiserreichs.

Der älteste Dichter der jungen russischen Literatur, Fürst Kantemir (1744 †), war seines Ursprungs ein Türke, Sohn eines Hospodars der Moldau, der sich unter russische Botmäßigkeit gestellt. Die Satiren, welche Fürst Kantemir hinterlassen, sind von bleibendem Werthe und ein treuer Spiegel der Menschen und Zustände, welche sie geißelten. Sie tragen aber durchaus kein nationales Gepräge, und es wehet darin mehr französische als russische Luft, eben weil Kantemir kein Russe war, und lange als Gesandter in Paris lebte, wo er seine Vorbilder suchte. Er hat hier deshalb als Vorläufer, nicht als Vater russischer Poesie seine Stelle gefunden.

Nach ihm kam Lomonossoff (1765 †), ein Mann, zu dem die Russen mit derselben Ehrfurcht aufblicken, wie wir zu einem Leibniz oder Lessing. Er beherrschte das ganze Gebiet des menschlichen Wissens seiner Zeit. Er war der Vermittler des oben angedeuteten Gegensazes zwischen Kirche und Volk der Schöpfer ter russischen Schriftsprache, der er sein Gepräge aufdrückte und ihre noch jest giltigen Geseze vorschrieb. Er gab den Russen ihre erste Grammatik und stellte zuerst die Geseze ihrer Metrik feft. Zu gleicher Zeit war er ein ausgezeichneter Philolog und naturwissen= schaftlicher Forscher. Seine Verdienste um die physischen und

mathematischen Wissenschaften haben auch in Deutschland, Eng. land und Frankreich gebührende Anerkennung gefunden. Seine nach allen Richtungen fruchtbare poetische Thätigkeit mag von den Ruffen zu hoch angeschlagen werden: immerhin that er den Besten seiner Zeit darin genug! Er zeichnete den nach. wachsenden Dichtern des Landes ihre Bahnen vor und bereitete ihnen die Sprache. Lomonossoff wurde geboren in einem Fischerdorfe am Weißen Meere. Seine umfassende Gelehrsamkeit erwarb er auf deutschen Universitäten, und eben weil seine Bildung, Methode und Geistesrichtung ganz unter ausländischem Einflusse sich entwickelt hatte, schlugen seine poetischen Erzeugnisse nicht so tiefe Wurzeln im Herzen des Volks, als die Werke seiner Nachfolger, denen er die Pfade bereitet hatte, und von welchen wir Dershawin als den Vater der jungen russischen Kunstpoesie bezeichnet haben, deren legter und be. deutendster Vorläufer Lomonossoff war.

Mit Dershawin (1816 †), einem nicht gelehrten, aber reichbegabten Dichter, beginnt die Zeit, wo das aus der Fremde eingeführte Gold und Edelgestein russisches Gepräge erhielt und gleich nationalen Werthstücken anerkannt — oder ganz ausgeschieden wurde. Was dem Genius der russischen Sprache und Poesie analog war, eignete er sich an zu dauerndem Schmucke; das Uebrige stieß er zurück.

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Dieser Läuterungsprozeß wurde vollendet von Puschkin und Lermontoff, unter deren Meisterhänden die schmiegsame Sprache ihre ganze Fülle des Wohllauts, der Kraft und der Schönheit entfaltete.

Wir sind jest, nach dieser rückblickenden Abschweifung, wieder angelangt am Ausgangspunkt unserer Betrachtungen, und der wißbegierige Leser könnte die Frage aufwerfen, ob denn Rußland in dem ganzen, eben flüchtig durchmessenen Jahrhundert keine anderen hervorragenden Dichter, als die wenigen obengenannten, erzeugt habe.

F. Bodenstedt. VI.

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Allerdings könnte ich noch eine Reihe von Namen anführen, unter deren Trägern einige den augenblicklich bei uns gefeiertsten Lyrikern des Tages an poetischer Bedeutung mindestens gleichstehen. Aber alle diese Dichter nehmen eine mehr oder weniger isolirte Stellung in der russischen Literatur ein, und die meisten von ihnen unterscheiden sich in nichts Wesentlichem von den neueren lyrischen Dichtern anderer Länder. Ihre Schöpfungen bieten keinen Maßstab für die geistige Bewegung des russischen Volks.

Gewichtige Ausnahmen davon bilden Männer wie Kry. loff, Shutowsky und Kolzoff: der erste ein äußerst geistvoller, den besten Dichtern dieser Gattung gleichzustellender, durch und durch russischer Fabeldichter; der zweite ein großer Meister der Sprache, der durch seine vortrefflichen Uebersezungen Göthe'scher und Schiller'scher Dichtungen, sowie durch eigene bemerkenswerthe Erzeugnisse in Rußland einen ähnlichen Ruf erlangt hat, wie A. W. v. Schlegel in Deutschland. Kolzoff endlich ist ein hochbegabter Volksdichter im edelsten Sinne des Wortes.

Die volksthümlichen Gesänge dieses ächten Barden den man füglich den ruffischen Burns nennen könnte sind wohl zu unterscheiden von den mehr oder weniger im Volkstone gehaltenen Liedern moderner Lyriker, welche weniger getrieben durch eigenen Herzensdrang als durch äußerliche Effekthascherei, in die Saiten der alten Volksharfe griffen, und in deren Liedern der Kenner daher nicht sowohl ein Ausströmen eigener gesunder Empfindung, als vielmehr ein künstliches Verhüllen des Mangels solcher Empfindung entdeckt.

Kolzoff war der Sohn eines Rinderhirten und er sang seine herrlichen Lieder während er mit der Heerde die baumleere, endlose Steppe durchzog. Er war ein ächter Sohn des Volkes und der Natur; Bildung und Gelehrsamkeit haben seine urwüchsigen poetischen Kräfte weder gefördert noch verdorben,

denn sein dürftiger Schulunterricht währte nur bis zu seinem zehnten Lebensjahre. Er hatte keine Anregung als die, welche der Himmel, die Steppe und sein eigenes Herz ihm bot. Seine Lieder werden fortklingen, so lange die russische Sprache lebt. . .

Wenn es in meiner Absicht läge, eine einigermaßen voll. ständige Abhandlung über russische Literatur zu schreiben, so dürfte ich Namen wie Wjäsemsky, Batjuschkow, Barjätinsky, Wisin, Delwig, Krassoff, Chomäkoff u. A. unter den Lyrikern eben so wenig übergehen, wie die ziemlich lange Reihe der Novellisten und anderer russischer Schriftsteller von Talent.

Da diese Einleitungszeilen aber nichts anderes bezwecken, als den Leser auf das Verständniß der nachfolgenden Dichtungen vorzubereiten, so lasse ich es bei dem hier über die rusfische Literatur Gesagten bewenden, um noch ein paar Worte über den Dichter des vorliegenden Bandes selbst hinzuzufügen.

Michail Lermontoff, ein Sprößling der hohen russischen Aristokratie, erhielt seinen ersten Unterricht durch Hauslehrer und machte dann, nach Art der meisten jungen Russen von vornehmer Herkunft, seinen Weg durch das Pagenkorps in die Garde. In Folge einer Ode, zu welcher der Tod Puschkins Veranlassung gab, wurde der junge Dichter aus der Garde entfernt und nach dem Kaukasus geschickt, wo er den größten Theil der Zeit, aus welcher die hier überseßten Dichtungen datiren, in der Verbannung zubrachte, unter Verhältnissen, die sich nicht mit derselben Bequemlichkeit rubriziren lassen, wie die Notizen, womit man sonst gemeiniglich die Biographie hervorragender Dichter zu schmücken pflegt, und worin ausführlich offenbart wird, we, wie und wann das junge Genie dekliniren und konjugiren gelernt.

Lermontoff, ob er auch vielfaches Unglück im Leben ertragen mußte, hatte den größten Vorzug, dessen ein Dichter sich erfreuen kann: sein Herz wurde nie von gemeiner Sorge um des Leibes Nothdurft zernagt. In der vornehmen Welt

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