Cervantes und seine Werke nach deutschen Urtheilen, mit Die Cervantes-Bibliographie. Herausg. von E. Dorer

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Edmund Dorer
1881
 

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Popular passages

Page 31 - Diese Kämpfe nun aber sind in der modernen Welt nichts weiteres als die Lehrjahre, die Erziehung des Individuums an der vorhandenen Wirklichkeit, und erhalten dadurch ihren wahren Sinn. Denn das Ende solcher Lehrjahre besteht darin, daß sich das Subjekt die Hörner abläuft, mit seinem Wünschen und Meinen sich in die bestehenden Verhältnisse und die Vernünftigkeit derselben hineinbildet, in die Verkettung der Welt eintritt und in ihr sich einen angemessenen Standpunkt erwirbt.
Page 31 - Mag einer auch noch soviel sich mit der Welt herumgezankt haben, umhergeschoben worden sein, — zuletzt bekömmt er meistens doch sein Mädchen und irgendeine Stellung, heiratet und wird ein Philister so gut wie die anderen auch: die Frau steht der Haushaltung vor, Kinder bleiben nicht aus, das angebetete Weib, das erst die Einzige, ein Engel war, nimmt sich ohngefähr ebenso aus wie alle anderen, das Amt gibt Arbeit und Verdrießlichkeiten, die Ehe Hauskreuz, und so ist der ganze Katzenjammer der...
Page 30 - Sie stehn als Individuen mit ihren subjektiven Zwecken der Liebe, Ehre, Ehrsucht oder mit ihren Idealen der Weltverbesserung dieser bestehenden Ordnung und Prosa der Wirklichkeit gegenüber, die ihnen von allen Seiten Schwierigkeiten in den Weg legt.
Page 31 - Besonders sind Jünglinge diese neuen Ritter, die sich durch den Weltlauf, der sich statt ihrer Ideale realisiert, durchschlagen müssen und es nun für ein Unglück halten, daß es überhaupt Familie, bürgerliche Gesellschaft, Staat, Gesetze, Berufsgeschäfte usf. gibt, weil diese substantiellen Lebensbeziehungen sich mit ihren Schranken grausam den Idealen und dem unendlichen Rechte des Herzens entgegensetzen.
Page 31 - Nun gilt es, ein Loch in diese Ordnung der Dinge hineinzustoßen, die Welt zu verändern, zu verbessern oder ihr zum Trotz sich wenigstens einen Himmel auf Erden herauszuschneiden...
Page 61 - Prosa ist die Stellung der Worte so ganz Symmetrie und Musik; keine andre braucht die Vet/ schiedenheiten des Stils so ganz, wie Massen von Farbe und Licht; keine ist in den allgemeinen Ausdrücken der geselligen Bildung so frisch, so lebendig und darstellend. Immer edel und immer zierlich bildet sie bald den schärfsten Scharfsinn bis zur äußersten Spitze, und verirrt bald in kindlich süße Tändeleien.
Page 32 - Die Kunst besteht darin, daß man mit dem möglichst geringsten Aufwand von äußerem Leben das innere in die stärkste Bewegung bringe; denn das innere ist eigentlich der Gegenstand unseres Interesses. - Die Aufgabe des Romanschreibers ist nicht, große Vorfälle zu erzählen, sondern kleine interessant zu machen.
Page 32 - Shandy freilich hat so gut wie gar keine Handlung; aber wie sehr wenig hat die neue Heloise und der Wilhelm Meister! Sogar Don Quixote hat verhältnismäßig wenig, besonders aber sehr unbedeutende, auf Scherz hinauslaufende Handlung : und diese vier Romane sind die Krone der Gattung.
Page 25 - Auch im Wilhelm Meister zeigt sich der fast bei keiner umfassenden Darstellung zu umgehende Kampf des Idealen mit dem Realen, der unsere aus der Identität herausgetretene Welt bezeichnet. Nur ist es nicht so wie im Don Quixote ein und derselbe sich beständig in verschiedenen Formen erneuernde, sondern ein vielfach gebrochener und mehr zerstreuter Streit...
Page 39 - Die Ironie, von der ich spreche, ist ja nicht Spott, Hohn, Persiflage, oder was man sonst der Art gewöhnlich zu verstehen pflegt, es ist vielmehr der tiefste Ernst, der zugleich mit Scherz und wahrer Heiterkeit verbunden ist. Sie ist nicht bloß negativ, sondern etwas durchaus Positives. Sie ist die Kraft, die dem Dichter die Herrschaft über den Stoff erhält; er soll sich nicht an denselben verlieren, sondern über ihm stehen.

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