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zum Inhärierenden, dasjenige, was in sich und unabhängig zu bestehen vermag. In ihnen werden einfache Ideen so verbunden, daß sie unter einem gemeinsamen Namen befaßt und als Einheit gedacht werden können. So entstehen die Vorstellungen einzelner, für sich bestehender Dinge, wie Mensch, Baum, Körper; es können aber auch mehrere Substanzen wieder zu Sammeldingen oder Kollektivvorstellungen, sozusagen zu Substanzen höherer Ordnung, zusammengefaßt werden (collective ideas), wie Heer, Wald, Herde. Werden einfache Ideen der Sensation, die gemeinsam auftreten, zu einer solchen Einheit verbunden, wie die Empfindungen einer trübweißen Farbe, der Härte, Biegsamkeit usf. zur Vorstellung des Bleies, so entsteht der Begriff ausgedehnter, aus der Verbindung von Reflexionsideen der Begriff geistiger Substanzen. Oder, wie Locke lieber sagen will: der undenkenden und denkenden Substanzen (cogitative and incogitative substances), da es keinen Widerspruch in sich schließt, also immerhin möglich wäre, daß der Schöpfer auch die Materie mit der Fähigkeit zu denken ausgestattet haben könne 13 - eine Bemerkung, welche auf die französische Aufklärung nicht ohne Einfluß geblieben ist. Die Relationen oder Beziehungen (relations) endlich sind weder etwas für sich Bestehendes, wie die Substanzen, noch auch etwas Inhärierendes, wie die Modi, sondern Verhältnisbegriffe, die entstehen, wenn wir andere Vorstellungen miteinander vergleichen; so ist,,Cajus“ eine Substanz, wenn ich ihn einen Menschen“ nenne, und seine,,Menschheit" ein Modus; wenn ich ihn aber als ,,Gatte" bezeichne, so ist dies eine Relation, weil es die Beziehung auf einen anderen Menschen in sich schließt 14. Zu den Beziehungsbegriffen gehören alle Vergleiche (größer und kleiner), Identität und Verschiedenheit, Kausalität, moralische Verhältnisse und ähnliches.

دو

6. DIE ENTSTEHUNG DER ZUSAMMENGESETZTEN
VORSTELLUNGEN

Die einfachen Ideen verbinden sich nicht von selbst zu den zusammengesetzten; ihre Verbindung ist vielmehr ein Werk des Eingreifens unseres Intellekts, der dabei aber hierin nur kombinatorisch, nicht schöpferisch zu wirken vermag. Die Seele verhält sich also nur im Aufnehmen der einfachen Ideen rein passiv; sie vermag aber,,durch

ETZTEN

ENTSTEHUNG DER ZUSAMMENGESETZTEN VORSTELLUNGEN

ihre eigene Kraft" aus jenen Elementen höhere Bewußtseinsgebilde zu gestalten. Die Voraussetzung dafür ist, daß sie die empfangenen Eindrücke in sich aufbewahrt, oder das Gedächtnis. Es ist die Fähigkeit, einstige Wahrnehmungen zu behalten, sie von neuem hervorzurufen und sie zugleich als früher gehabte wiederzuerkennen. Allerdings gehen auch manche Eindrücke verloren oder verblassen bis zur Unkenntlichkeit. So geht es mit den Vorstellungen unserer Jugend oft so wie mit unseren Kindern: sie sterben vor uns; von anderen wieder steht gleichsam nur ein verwittertes Denkmal in unserer Seele, aber die Inschrift ist unlesbar geworden. Hingegen bleiben Vorstellungen, die häufig wiederkehren, wie die Sensationswahrnehmungen der Körperlichkeit oder Dasein, Zahl, Dauer dem Gedächtnis, das Locke eine zweite Wahrnehmung" (secondary perception) nennt, unverloren. Schon hierin besitzt der Geist einen gewissen Grad von Freiheit, insofern es bei ihm steht, ob er gewisse Vorstellungen zurückrufen will oder nicht 15. Die reproduzierten Vorstellungen gehen nun schon unwillkürlich allerlei Verbindungen ein, wenn sie öfter zeitlich oder räumlich benachbart miteinander auftraten. Diese Assoziation der Vorstellungen (association of ideas) sucht Locke auch physiologisch zu erklären, indem er sie auf eine Bahnung in den Nerven durch häufig gleichgerichtete Bewegung der ,,Lebensgeister" (die als feinste materielle Teilchen gedacht sind) zurückführt 16. Unterschieden davon sind die freien Operationen des Vergleichens, Unterscheidens und ihnen gemäßen Verbindens der Vorstellungen, welche auf Urteilskraft und Verstand beruhen. Dessen wichtigste Funktion aber ist das Abstrahieren durch absichtliches Absehen von allen Nebenumständen und begleitenden Vorstellungen. Dadurch ist es möglich, an und für sich singuläre Ideen als Vertreter aller Dinge derselben Art anzusehen und sie mit Hilfe des Wortes zu verallgemeinern. Ebendiese Gabe der Abstraktion unterscheidet den Menschen von den Tieren, denen es nicht an Organen zum Sprechen mangeln würde, denen aber die geistige Grundlage der Sprachbildung: das Vermögen der Generalisierung des einzelnen abgeht. Auf diesen Prozessen beruhen also die zusammengesetzten Ideen, welche gar nichts anderes sind als Verbindungen von einfachen, unter einem Namen befaßte Vorstellungen 17. 3 Reininger, Locke

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Die Bedeutung, welche hier der Namengebung, also der Sprache zukommt, hat Locke veranlaßt, ihr im III. Buche eine eigene Untersuchung zu widmen.

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Die zusammengesetzten Ideen verdanken ihren Ursprung somit einer der Hauptsache nach spontanen Synthese des Verstandes, wenn sie auch ihren Bestandteilen nach durchwegs auf Erfahrung beruhen. Damit ist das Prinzip des strengen Empirismus an einem wichtigen Punkte durchbrochen. Denn wenn jene Funktionen des Verstandes auch erst nach seiner Befruchtung durch Erfahrung in Tätigkeit treten und sichtbar werden, so entstehen sie doch nicht aus Erfahrung. Auf die naheliegende Frage aber, nach welchen normativen Gesichtspunkten unser Intellekt in jener frei gestaltenden Synthese verfährt, würden wir bei Locke vergebens nach einer Antwort suchen. Und doch ist offenbar, daß sie nicht nach individueller Willkür erfolgen kann; dagegen spricht ja schon der Umstand, daß hierin unter den Menschen weitgehende Übereinstimmung besteht, ohne welche keine gemeinsame Verständigung, keine Sprache, keine Gemeinsamkeit des Wissens möglich sein würde. Locke selbst schränkt diese Willkür gelegentlich auf eine gewisse Freiheit" in der Bildung zusammengesetzter Vorstellungen ein, um das individuell Abweichende an ihnen zu erklären 18; aber nicht die individuelle Freiheit, sondern die individuelle Gebundenheit hierin wäre Gegenstand des Interesses. Der Grund, warum wir die einfachen Ideen immer wieder gerade in dieser Art und Weise, nämlich zu Modis, Substanzen und Relationen, verbinden, und warum wir im Einzelfall gerade diese und keine anderen Elementarvorstellungen zusammengruppieren, müßte entweder aus deren Natur selbst abgeleitet oder aus einer überindividuellen formalen Gesetzmäßigkeit des Denkens begriffen werden. Die Umgehung dieses Problems, das ihm wohl als solches gar nicht zu Bewußtsein gekommen ist, hat sich Locke dadurch erleichtert, daß er bereits hochentwickelte Vorstellungsgebilde, wie Einheit, Existenz, Kraft durch Erfahrung gegeben sein läßt. Die grundsätzliche Frage nach dem Zusammenwirken eines empirischen eines empirischen und eines rationalen Faktors in der Entstehung unseres Weltbildes bleibt aber bei ihm ungeklärt.

DIE LOGIK / DER IMMANENTE WAHRHEITSBEGRIFF

III. WAHRHEIT UND WISSEN

1. DIE LOGIK UND IHRE AUFGABE

Im Sinne des Aristoteles teilt Locke alle Wissenschaften in drei Hauptklassen: Physik, welche es mit der Erforschung der Dinge, der körperlichen sowohl als der geistigen, zu tun hat; Praktik, welche Leitlinien des menschlichen Handelns zu geben hat und deren wichtigster Zweig die Ethik ist; endlich die Logik oder Semeiotik als die Lehre von den ,,Zeichen", deren sich der menschliche Geist bedient, um die Dinge zu erfassen und zugleich um sein Wissen anderen mitzuteilen.. Nun sind die Zeichen für die Dinge unsere Vorstellungen und die Zeichen für unsere Vorstellungen die Worte. Daher zerfällt die Logik für Locke in zwei Teile: in die erkenntnistheoretische Logik (von der formalen Logik denkt er sehr gering), welche den Wert und die Bedeutung der Ideen und ihrer Verbindungen für das Erkennen zu untersuchen hat, und in die Sprachlogik, welche es mit der Bedeutung der Sprache für das Denken zu tun hat und der zugleich die Aufgabe zufällt, die Fehlerquellen aufzudecken, welche aus deren mißbräuchlichen Anwendung entstehen 19.

2. DER IMMANENTE WAHRHEITSBEGRIFF

die

Auf die alte Frage: Was ist Wahrheit? eigentliche Grundfrage der Logik antwortet Locke ganz im Sinne von Hobbes: Wahrheit ist das ereinigen oder Trennen von Zeichen, je nachdem die durch sie bezeichneten Dinge übereinstimmen oder nicht. Es gibt nun zwei Arten von Zeichen: Ideen als Zeichen für Dinge, und Worte als Zeichen für Ideen. Demgemäß gibt es auch zwei Arten von „,Wahrheiten": Wahrheit in Ideen (truth of thought), und Wahrheit in Worten (truth of words). Wahrheiten jener Art besagen eine Übereinstimmung in den bezeichneten Dingen, diese eine Übereinstimmung in den bezeichneten Ideen. Die letzteren sind also davon unabhängig, ob den Ideen selbst wieder etwas Reales entspricht oder nicht; sie besagen nur, daß miteinander verglichene Vorstellungen sich nicht widerstreiten bzw. mit

einander unvereinbar sind; ihre Bedeutung tritt hinter den Sachwahrheiten naturgemäß zurück.

Nun ist der erkenntnispsychologische Tatbestand nach Locke der, daß wir es unmittelbar überhaupt nur mit unseren Vorstellungen zu tun haben: den passiv aufgenommenen Elementarideen und den durch aktives Eingreifen seelischer Funktionen gebildeten komplexen Ideen. Ein direkter Vergleich unserer Vorstellungen mit den Dingen in Hinsicht ihrer Übereinstimmung ist daher gar nicht möglich. Denn mögen auch die einfachen Ideen der Voraussetzung nach von realen Dingen in uns bewirkt werden, so treten eben doch immer nur die Wirkungen der Dinge in unser Bewußtsein, niemals diese selbst. Daher bedarf jener Wahrheitsbegriff auf dem Standpunkte des folgerichtigen Empirismus einer Korrektur: Wahrheit (truth) und Erkenntnis (knowledge) kann hier nicht die Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung unserer Vorstellungen mit etwas bedeuten, das nicht selbst wieder Vorstellung wäre, sondern allein die Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung unserer Vorstellungen untereinander. An die Stelle einer bewußtseinstranszendenten Beziehung tritt ein rein imma nenter Wahrheitsbegriff 20. So unvermeidlich sich dieser nur scheinbar paradoxe Satz aus Lockes Prämissen ergibt und so bedeutungsvoll diese Einsicht gewesen wäre, so wenig hat sich Locke selbst an sie gehalten. Der Mangel an Folgerichtigkeit an diesem entscheidenden Punkte bedeutet das Grundgebrechen seiner Philosophie.

3. DIE LOGISCHEN QUALITÄTEN UNSERER VORSTELLUNGEN Vorstellungen sind die Grundlage und der einzige Gegenstand unserer Erkenntnis. Wenn eine Erkenntnis bewußtseinstranszendenter Realität überhaupt möglich sein sollte, so könnte sie nur durch ihre Vorstellung erfolgen. Daher werden die logisch-erkenntnistheoretischen Qualitäten unserer Vorstellung für den Umfang und die Grenzen unseres Wissens von ausschlaggebender Bedeutung sein.

Locke unterscheidet zunächst Einzelvorstellungen und Allgemeinvorstellungen. Die letzteren entstehen, wie bereits gezeigt wurde, durch Abstraktion, indem wir bei Einzelvorstellungen von allen Besonderheiten des Ortes, der Zeit und anderer Begleitumstände absehen.

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