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staatlichen Forderungen kommt dann noch die deutsche, Einberufung eines deutschen Parlaments. Überall in den Mittelund Kleinstaaten brach in den ersten Märztagen das alte System, ohne Widerstand zu versuchen, zusammen; die alten Minister wurden entlassen, die liberale Opposition übernahm die Bildung der neuen, der sogenannten Märzministerien, die Erfüllung der weiteren Forderungen wurde versprochen und auf parlamentarischem Wege eingeleitet. Aber auch in Österreich und Preußen war jetzt kein Halten mehr. Am 13. März gab es Unruhen in Wien; die erschrockene Regierung wußte sich nicht anders zu helfen, als daß sie den Staatskanzler Metternich, der seit fast 40 Jahren die innere und äußere Politik Österreichs im Fahrwasser der Reaktion gehalten hatte, entließ; zwei Tage darauf mußte sie den Erlaß einer konstitutionellen Verfassung versprechen. Damit war auch König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen, der durch das Patent vom 3. Februar 1847 aus den preußischen Provinziallandtagen einen Vereinigten Landtag für Preußen geschaffen und, als diese Reform von der Mehrheit des Landtags selbst für unzulänglich erklärt wurde, sie als bildungsfähig bezeichnet hatte, gezwungen, mit seinen zaudernden Erwägungen über die organische Weiterentwicklung dieses Landtags Schluß zu machen und zur Tat zu schreiten. Am Morgen des 18. März erschien in Berlin ein königliches Patent, das die Hauptsache, die konstitutionelle Entwicklung für Deutschland und für Preußen, zugestand.

Überall war die Bewegung so gut wie unblutig verlaufen, auch in Berlin. Erst am Nachmittag des 18. März kam es hier aus einer bis heute nicht einwandfrei aufgeklärten Verwicklung zum Straßenkampf. Es war aller Wahrscheinlichkeit nach bloß Zufall, daß die ersten Schüsse losgingen, die zum allgemeinen Kampf führten. Aber daß ein Zufall den großen Kampf hervorrufen konnte, war ein Beweis für den tiefen Zwiespalt, der zwischen König und Volk bestand. Dadurch im Innersten erschüttert, verlor Friedrich Wilhelm IV. den Kopf, und auch in seiner Umgebung war niemand, der ihn oben behalten hätte. Eine Kette von halben, rasch geänderten Entschlüssen und Mißverständnissen führt am 19. März zum Abzug der siegreichen Truppen aus Berlin, zur persönlichen Demütigung des schutzlos in Berlin zurückgebliebenen Königs vor der Revolution. In seiner letzten Stunde beweist so der Absolutismus, daß er tat

sächlich nicht mehr fähig war, zu regieren. Friedrich Wilhelm freilich wollte das nicht glauben. Er meinte, als konstitutioneller König seines Volkes sicher zu sein, versuchte am 21. März sogar die Führung in Deutschland zu übernehmen. Aber die Märztage hatten ihn um den letzten Rest der Sympathien in Deutschland gebracht, niemand folgte seinem Rufe, auch in Preußen wurde die Führung des Königs abgelehnt, auch hier wurde ein Märzministerium eingesetzt, an dessen Spitze die Führer der liberalen Partei des Rheinlandes standen, und der Vereinigte Landtag, der in seiner ganzen Zusammensetzung ein Abbild der alten Zeit war, mußte einer nach allgemeinem und gleichem Wahlrecht gewählten konstituierenden Versammlung Platz machen.

So schien es Ende März, als ob die Revolution in Deutschland ihr Ziel erreicht hätte. Der Rechtsboden war zwar überall gewahrt worden, die Fürsten blieben, mit der einzigen, durch besondere Verhältnisse herbeigeführten Ausnahme Bayerns, an der Regierung, beriefen die neuen Minister, veranlaßten die neuen Reformgesetze. Aber sie hatten nur den Namen dazu herzugeben, die Macht ruhte bei dem Volke und seinen Vertretern. Und während in den Einzelstaaten die Ausführung der verheißenen Reformen begann, nahmen auf Grund des Rechtes der Revolution die Liberalen Deutschlands, zum sogenannten Vorparlament in Frankfurt Anfang April versammelt, zugleich die Neugestaltung des deutschen Bundes in ihre Hand und veranlaßten die Einberufung eines deutschen Parlaments.

Aber nicht durch sich allein und darum auch nicht für sich allein hatte das Bürgertum diesen Sieg erfochten. Als Bundesgenossen hatten ihm alle die zur Seite gestanden, die mit den bisherigen Zuständen unzufrieden waren. Das waren in erster Linie die Bauern, die die volle Durchführung der Bauernbefreiung verlangten. Auf diese Weise wurde ein soziales Moment in die Bewegung hineingetragen. Aber man darf dieses nicht überschätzen. Nicht eine soziale Umwälzung ist es, was die Bauern erstrebten, sie wollten nur die letzten Reste der alten, längst erschütterten feudalen Verfassung auf dem Lande beseitigt wissen. Schon vor Jahren hatten die Regierungen mit dem Abbau begonnen, hatten dann aber das Werk halbvollendet gelassen. Überall waren die Bauern persönlich frei, hatten meist auch ein erbliches Recht an ihrem Hofe, und die Zinsen und

Zehnten, die als Reallasten auf dem Gute lagen, waren ablösbar. Aber was half das dem Bauer, der kein Kapital besaß und keins auftreiben konnte, um diese Lasten abzulösen? Dazu kam, daß die Bauern in vielen Gegenden auch noch Frondienste zu leisten hatten, daß sie das gehässige Recht des Grundherrn, auf bäuerlichem Grund und Boden zu jagen, dulden mußten und daß sie bei allen Klagen, die aus dieser Rechtslage entstanden, nur schwer gerichtlichen Schutz fanden, weil der Grundherr meist auch die Gerichtsbarkeit inne hatte und dem Bauer den Weg zur unparteiischen Behörde des Staates verlegte.

Sehr viel geringere Bedeutung haben die unteren Schichten des Volkes für die Revolution erlangt. Ein industrielles Proletariat gab es damals noch nicht; die moderne Fabrikindustrie stand erst in ihren Anfängen. Für das kommunistische Manifest, mit dem Marx und Engels 1847 von London aus die Proletarier aller Länder aufgerufen hatten, sich zu vereinigen und ihre Ketten abzuwerfen, gab es im Deutschland von 1848 keinen Resonanzboden. An Not und Elend hat es natürlich auch damals nicht gefehlt. Das Eindringen der Maschine in den Handwerksbetrieb warf viele Arbeiter auf die Straße, schuf ein elendes Handwerkerproletariat, dessen wirtschaftliche Lage und geistige Verfassung uns Gerhart Hauptmann in seinen Webern anschaulich geschildert hat. Aber dieses Proletariat war eine niedergehende Klasse, und solche machen keine Revolutionen. Sie wehren sich wohl auch mit Gewalt gegen die neuen Mächte, durch die sie erdrückt zu werden scheinen, aber sie vermögen sie nicht zu benutzen, um eine neue günstigere Ordnung aufzubauen.

Das Gleiche gilt von dem bereits zahlreichen bäuerlichen Proletariat. Die Bauernbefreiung und die Regulierung der Besitzverhältnisse in Preußen, seit 1816 unter starker Bevorzugung der Gutsbesitzer durchgeführt, hatte eine große Zahl von bisher hörigen Bauern rechtlich frei gemacht, aber ihre wirtschaftliche Abhängigkeit vom Gutsherrn eher verschärft, weil der kapitalarme Bauer auf seinem durch die Entschädigung für die aufgehobene Gutsuntertänigkeit verkleinerten Gut nicht den nötigen Lebensunterhalt fand. Eine Abwanderung in die Industrie war bei deren geringer Entwicklung noch nicht möglich. Aus den Bauern, die sich nicht halten konnten, aus den Bauernsöhnen, die kein Gut ererbten und zu arm waren, sich eines zu kaufen, wurde eine landhungrige Klasse von Gutstagelöhnern. Die Er

schütterung von 1848 rief hier einen primitiven Kommunismus hervor, der eine gleichmäßige Verteilung des Landes forderte, in einigen Gegenden sogar schon ins Werk zu setzen unternahm. Aber auch hier besteht ein himmelweiter Unterschied vom kommunistischen Manifest; auch hier will man keinen Fortschritt, sondern, wie die Forderung eines Verbots landwirtschaftlicher Maschinen beweist, eher Rückschritt, auch hier fehlte es an Organisation und Kraft. Deshalb brach auch diese Bewegung rasch zusammen.

Als Bundesgenossen waren diese Schichten dem liberalen Bürgertum zur Seite getreten; der gemeinsame Gegensatz gegen den bestehenden Staat hatte sie zusammengeführt. Aber gleich nach dem Siege über den Staat stellte sich heraus, daß eine Gemeinschaft der Interessen unter den Bundesgenossen nicht bestand. Den unteren Klassen lag nichts an der Wahrung der Kontinuität der Rechtsentwicklung. Republikanische Ideen fanden namentlich in Südwestdeutschland Anklang. Und ein ausgesprochener Gegensatz der Interessen zeigte sich in der Frage des Wahlrechts. Das liberale Bürgertum wollte nur die besitzenden und gebildeten Kreise an der Regierung beteiligen und deshalb das Wahlrecht von einer gewissen Steuerzahlung abhängig machen. Hier aber setzten die demokratisch gesinnten unteren Klassen dank ihrer großen Zahl ihre Forderung des allgemeinen und gleichen Wahlrechts für das deutsche Parlament durch; die endgültige Verfassungsform sollte dann durch dieses Parlament festgesetzt werden.

Die reale Macht der Demokraten war trotzdem nur gering. Ein Putsch, den sie im April 1848 in Baden unternahmen, brach vor dem schwachen Militäraufgebot des deutschen Bundes kläglich zusammen. Auch die Wahlen zu der ersten verfassunggebenden Nationalversammlung ergaben einen überwältigenden Sieg der Gemäßigten. Das am 18. Mai 1848 in der Paulskirche zu Frankfurt eröffnete Parlament stellte eine glänzende Vertretung der deutschen Intelligenz dar. Die besten Namen des geistigen Deutschlands jener Tage, zumal aus dem damals unbestritten führenden Gelehrtenstand finden sich unter den Mitgliedern. Demgemäß standen die Verhandlungen auf einer heute beneidenswerten Höhe; die glänzende Beredsamkeit und der Reichtum der Gedanken machen das Studium der Debatten auch für unsere, in vielem ganz anders gerichtete Zeit noch anziehend. Aber wo viel Licht ist, da ist auch viel Schatten. Mangelnde

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politische Schulung und die Überfülle von Ideen erschwerten den Fortgang der Beratungen; mit professoraler Gründlichkeit blieb man allzulange bei der Einleitung, den Grundrechten der Individuen, stehen, statt mit entschlossenem Zupacken den Staat unter Dach und Fach zu bringen. Es fehlte freilich nicht an Gründen für dieses Verfahren; man brauchte Zeit, bis sich die Anschauungen über die Gestalt des deutschen Staates geklärt hatten, aber man kommt doch nicht um den Vorwurf herum, daß die deutsche Nationalversammlung die beste Zeit, wo die Einzelstaaten unter dem Eindruck der Revolution noch zu Opfern bereit waren, hat nutzlos verstreichen lassen.

Denn fast ein Jahr, bis zum 28. März 1849, hat sie gebraucht, um die Verfassung des deutschen Reiches zustande zu bringen. Diese war und konnte nur sein ein Werk der Theorie, der Abstraktion. Denn nirgends in der Welt gab es ein Vorbild, nach dem sich das deutsche Parlament bei der Zusammenfassung monarchischer Einzelstaaten zu einem Gesamtstaate hätte richten können. Die Vereinigten Staaten von Amerika, deren Verfassung in einzelnen Punkten wohl als Muster dienen konnte, bestanden aus lauter aus lauter Republiken; die alte Verfassung des deutschen Reiches berücksichtigte nur die Dynastien und kümmerte sich um das deutsche Volk gar nicht. Die neue Verfassung aber wollte vor allen Dingen die Rechte der Individuen zur Geltung bringen, wollte sie sichern gegen alle die kleinliche Bevormundung und gehässige Unterdrückung, wie sie sich der Polizeistaat mit den Karlsbader Beschlüssen von 1819 herausgenommen hatte. Das war der Sinn der Grundrechte des deutschen Volkes, die einen wesentlichen Bestandteil der neuen Verfassung ausmachen: Sicherung der persönlichen Freiheit gegen willkürliche Verhaftung, Unverletzlichkeit der Wohnung, Freiheit der Meinungsäußerung zumal in der Presse, Freiheit der Wissenschaft und ihrer Lehre, des Glaubens und des Gewissens, alles das wurde als unveräußerliches Menschenrecht jedem Deutschen in jedem Bundesstaat zuerkannt. Dazu kam die Freiheit des wirtschaftlichen Lebens, der Berufswahl, der Wahl des Wohnorts, der Auswanderung, die freie Verfügung über das Eigentum, die Aufhebung aller Hörigkeit.

Neben den Menschenrechten standen die staatsbürgerlichen Rechte, die von jeder Verbindung mit dem Glaubensbekenntnis gelöst, also auch den Juden zugänglich gemacht wurden, Die großen Revolutionen.

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das

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