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Unsere preußische, wie auch die benachbarte sächsische Landeskirche liegt in Geburtswehen, und hüben wie drüben, rechts wie links stehen ihrer zwei, das Kirchenregiment und die Gemeinde bereit, das Kind der Zukunft, die Kirchenverfassung, ein Töchterchen also, in Empfang zu nehmen. Von ferne stände wol noch ein Dritter, ein Mann in der Kutte, und riebe sich über diese Beiwacht vergnügt die Hände, wenn ihm nur nicht für den Augenblick bei den Bedrängnissen des heiligen Vaters das Lachen vergangen wäre. Wir in Preußen haben nun wenigstens die Anfänge, so zu sagen Kopf und Rumpf, aber das Kind kann noch nicht laufen. Zwar macht es Versuche, sich aufzurichten, es hat auch schon ein Paar Schritte vorwärts gethan, aber kaum gewahrt es die Frau Mutter, so schlägt sie die Hände über den Kopf zusammen, und drückt das verwegene Kind, „das Würmlein Jakob" auf seinen Siz nieder. So etwa ist es den Kirchenältesten in Quedlinburg ergangen: als sie auftraten und ohne gebührendes Leitfeil vorgehen wollten, da wurde der Versuch als ein Vergehen ausgelegt und ihnen angedeutet, sie hätten zwar Füße, aber diese seien noch zu unbeholfen und für größere Excursionen zu schwach; das Kind müsse sich vorläufig noch an die Amme und den Herrn Präceptor halten. Es war jedoch so voll Troß und Selbstgefühl, daß es replicirte und remonstrirte und sich gegen das Gängelband aus allen Kräften sträubte. Bei dieser Gelegenheit kam noch gar vieles Andere, wie die Frage über die

gehörige Zucht, über Liederbuch und Gefänge, ja über die etwaige künftige Wiederverheirathung des Töchterchens zur Sprache, Dinge, die bisher nur im Stillen das Gemüth der sorgsamen Mutter beschäftigt hatten. Alles das ist ausführlich und wahrheitsgetreu zur unpartheiischen Würdigung der Intentionen des Kirchenregiments wie zu Nuz und Orientirung für die Gemeinden im Nachfolgenden beschrieben. Hat es zunächst auch nur ein locales Intereffe: das Einzelne ist nichts als ein Spiegel des Ganzen und gibt den sichersten Einblick in die inneren Zustände der Gesammtheit. Der Schwerpunkt jener Vorgänge und Verhandlungen liegt auf der Hand: wie auf politischem, so ist auch auf kirchlichem Gebiete die Bevormundung grundsäglich aufgehoben und die Selbstregierung der Kirche anerkannt; aber thatsächlich hält das Regiment an seinem Patriarchalismus fest; es kann sich nur schwer entschließen, in die Gedanken der nun einmal erlassenen Kirchenordnung einzugehen und einen Theil seiner Gewalt an die Gemeinden abzugeben. Und doch ist nichts klarer als der Sag: Freiheit im Staate zieht Freiheit in der Kirche unvermeidlich nach sich; aber auch nichts ist begreiflicher als die Furcht der Büreaukratie, daß die erstere durch die Gewährung der lezteren im Bewußtsein des Volkes consolidirt werde. Denn religiöse und politische Freiheit sind ein natürliches und unzertrennliches Geschwisterpaar, die Paradiesvögel der modernen Zeit, die nur zusammen gedeihen. Ob sie mit dem Delzweig des Friedens über unsere vielfach durchwogte Provinzialkirche von Quedlinburg werden ausfliegen, weiß ich nicht; aber wünschen will ich, daß sie sich dort wenigstens niederlassen und der Ausgang jener Verhandlungen der rechte sei! Er würde auch uns Andern zu gute kommen.

Geschrieben am Lichtmeßtage 1861.

Es machen gegenwärtig einige Vorgänge in der sonst so ruhigen, wegen ihrer Samenzucht weltberühmten und von einem geistlichen Oberhirten überwachten alten Stiftsstadt ein nicht unbedeutendes Aufsehen, daß es der Mühe werth ist, dieselben aus dem im Vorwort angedeuteten Grunde genauer darzulegen, zumal sie theilweise entstellt in die Oeffentlichkeit gedrungen find. Sie betreffen den Artikel Kirchenzucht, Gesangbuchsnoth und eine sich daran schließende Versammlung der Kirchenräthe der ganzen Stadt, die theils nach der Kirchenordnung vom Jahre 1850 theils nach dem legten Allerh. Erlaß vom 27. Febr. 1860 gewählt sind. Die Sache hängt so zusammen. Im Jahre 1857 am 7. December erließ das Consistorium unter der Adresse an die evangelischen Geistlichen der Provinz Sachsen“ eine Verfügung, kraft welcher „nicht materiell Neues angeordnet, sondern 1) nur neben Angabe einiger allgemeinen Gesichtspunkte, 2) solche Acte kirchlicher Zucht zu allgemeiner Uebung gebracht werden sollten, welche innerhalb der Provinz kirchenordnungsund observanzmäßig einen rechtlichen Boden haben und in den Gemeinden mehr oder weniger in thatsächlicher Geltung stehen.“

Es ist zuvörderst lehrreich und anziehend, jene allgemeinen Gesichtspunkte etwas näher zu beleuchten. Das Reglement will nichts materiell Neues anordnen; jeder mußte also vermuthen, daß wenigstens für die allgemeinen Gesichtspunkte das materiell Alte festgehalten würde. Dies findet sich nicht nur in der Magdeburger Kirchenordnung vom Jahre 1739, sondern auch in allen übrigen ältern Kirchenordnungen aus dem 16.-18. Jahrhundert, wir meinen das eigentliche Princip derselben. Nun entlehnt zwar das Reglement einzelne Bestimmungen, zum Theil wörtlich aus der Magdeburger

Kirchenordnung; aber gerade den hauptsächlichsten, den durchschlagenden Gesichtspunkt, ohne welchen die kirchenpolizeiliche Gefeßgebung in der Luft schwebt und in welchem die Magdeburger sammt deren ältern Schwestern ihre eigentliche Stärke hatte, — diese Position hat das gedachte Reglement aufgegeben, oder so lutherisch auch es noch damals war, es hat doch nicht den dogmatischen Muth gehabt, sie zu behaup

Die Magdeburger Kirchenordnung sagt Kap. 24. §. 34: „Die Prediger sollen die Zuhörer treulich unterrichten und ihnen von amtswegen anzeigen, daß die ordentliche Kirchen-Disciplin und Strafe des Binde-Schlüffels ja nicht zu verachten, sondern gleich wie die Gemeinschaft (eines Christen mit) der heiligen chriftlichen Kirche (zugleich) sei eine Gemeinschaft (wodurch der ihr Angehörige theilhaftig ist) aller geistlichen himmlischen Güter, also sei auch die ordentliche Kirchenstrafe eine durch den verstockten Sünder selbst ihm zugezogene Beraubung alles zeitlichen und ewigen Heiles und der Seelen Seligkeit. Es sei auch nicht anders, als daß diejenigen, so diese Strafe verachten, an Christi Reich kein Theil haben, und Gottes gerechtes Urtheil mit Schrecken erfahren und ertragen werden.“ Der Hintergrund dieser Säße ist weder schwankend noch mißverständlich: er ist rund und nett der römisch-katholische im engsten Sinne des Wortes. Wer äußerlich zur Kirche gehört, hat auch an ihren geistlichen und himmlischen Gütern Theil; wer aber aus der sichtbaren Kirche ausgeschlossen wird, ist auch aus der unsichtbaren ausgeschlossen. Kirchenbuße und Bann sind von diesseitiger und jenseitiger Wirkung, sie reichen in die Ewigkeit hinüber und schließen den durch sie Getroffenen von Chrifti Gnadenreiche aus. — Das Reglement nun, indem es diese überschwenglichen Folgen der kirchlichen Zuchtpolizei fallen ließ, hat es etwa nicht gerade an den frivolen Zeitgeist, sondern an den heiligen Geist des Protestantismus Concessionen gemacht? hat es sich gesagt: wie denn, wenn ein evangelischer, ein ernster, gläubiger Christ auf den Kernsag unserer Kirche von dem rechtfertigenden Glauben trost, indem er sich sagt, der Bann des Geistlichen oder der kirchlichen Behörden reicht nicht bis hinüber vor Gottes Thron; Er, der Barmherzige, wird sich an das nicht fehren, was hier unten ein weder allwissender noch fündenreiner

Mensch, und wäre es ein Lutheraner von ächtem Schrot und Korn, ein Kirchenlicht erster Größe vorgenommen hat! Sein Bindeschlüsfel kann mir die Himmelsthür nicht zuschließen; ich will mit meinem Herr Gott selbst suchen fertig zu werden und verlasse mich auf die Fürbitte (intercessio) meines Heilandes Jesu Chrifti, der ja gütiger und milder, z. B. gegen die Ehebrecherin Joh. 8, 1 ff. und gegen den gefallenen Petrus Joh. 21, 15 ff. wie gegen seine Peiniger Luc. 23, 34 gewesen ist, als es viele „eifrige und (recht) gläubige" Pastoren heut zu Tage gegen weit „geringere" Vergehen sind. Das Reglement also hat vielleicht erwogen: wenn solcher Weise nicht nur ein Einzelner bei fich dächte, sondern es käme zum Bewußtsein der evangelischen Gemeinden, wie einft zu den Zeiten der Reformation unser deutsches Volk auf Grund des Glaubens an Christum den wahren Heiland den Glauben an den Papft und dessen ganze pfäffische Kirchendisciplin los geworden ist? Müßte nicht, wenn dieses evangelische Bewußtsein bei unseren Gemeinden durchschlüge, das Reglement völlig wirkungslos bleiben? Um so mehr, als die immer noch zu Recht bestehende Cabinetsordre vom 30. März 1847 jedem erlaubt, ohne Verlust bürgerlicher Ehren und Rechte aus der Landeskirche auszuscheiden, um unter anderen auch allerhand kirchlichen Verationen übereifriger Geistlichen zu entgehen? Wir glauben kaum, daß bei Verfertigung des Erlaffes an diese Gesichtspunkte gedacht worden ist; denn diese machen ja im Grunde jede Zuchtpolizei in der evangelischen Kirche zu einer inneren Unmöglichkeit. — Wenn aber daran gedacht wäre, so hat sich das Kirchenregiment zugleich gesagt, daß weder überhaupt ein Austritt in Masse stattfinden, noch daß auch nur eine Mehrzahl (wie weiland 1847 und 1848 in einzelnen Gemeinden) von dieser Erlaubniß einen Gebrauch mehr machen werde, da sich hinterher doch herausstellt, daß der Ausgeschiedene auch heute noch troß des bekannten Religionsparagraphen in der Verfassung hinterher allerlei Unbequemlichkeiten ausgesezt ist. So find denn viele der Ausgetretenen zurückgekehrt, mit dem protestantischen Troß im Herzen und auf der Lippe, sie seien weiland nur aus der Landes-, aber gar nicht aus der evangelischen Kirche ausgeschieden. Die jedoch, welche geblieben sind? Nun, die Gemeinden haben im Ganzen aus gar mancherlei Gründen jenes Regle

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