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Periode kennt die vzń als beweglichen seelischen Doppelgänger des Lebenden. Ob sie in der Aithiopis schon so vorgekommen ist, müssen wir sehr bezweifeln. Für Aeschylus aber war diese Auffassung längst selbstverständlich. Wenn er nun die homerischen xñoɛ durch vzai ersetzte, die Scholien zu Ilias VIII, 70 sind der Meinung, er habe geglaubt, damit die eigentliche Bedeutung der zñoεs zu treffen so kann ihm das durch den attischen Sprachgebrauch nahegelegt worden sein. Denn nach dem Zeugnis des Anthesterienspruches verstand man in Attika allerdings unter xñoɛs auch die vzai der Toten. Daraus folgt aber doch nicht einmal so viel, daß die beiden Begriffe sich in Attika selbst völlig deckten, geschweige daß sie ursprünglich überhaupt gleichbedeutend gewesen sein müßten. An den Festen der Unterirdischen gehen, nach dem Glauben der verschiedensten Völker, alle jene unheimlichen Geister einher, die für gewöhnlich in der Tiefe wohnend gedacht werden. Von ihnen beanspruchen die Totenseelen freilich das Hauptinteresse. Aber sie sind nicht die einzigen - wir müßten denn alle die verschiedenartigen Vorstellungen gespenstiger Wesen für Abkömmlinge des Seelenglaubens halten, was doch nur ein Vorurteil wäre, freilich ein sehr verbreitetes, das durch gewichtige Autoritäten eine beinahe klassische Geltung bekommen hat. Ob also mit den zñoɛs der Anthesterienformel ursprünglich die vzal allein gemeint waren, läßt sich nicht mehr entscheiden. Die Römer verstanden in alter Zeit unter den di Manes die Gesamtheit der dunklen Geister, die in der Tiefe hausen, und erst später heftete sich der Name an die Seelen der Verstorbenen. Auch lemures und laruae sind solche Bezeichnungen der Unterirdischen überhaupt. Alle Wahrscheinlichkeit spricht dafür, daß der Entwickelungsprozeß nicht so verlaufen ist, wie die animistische Theorie gedacht hat, sondern gerade umgekehrt. Die Geister der Verstorbenen gingen nach ältestem Glauben in das Heer der unterirdischen Dämonen ein, ja sie wurden selbst zu solchen Dämonen und man gab ihnen daher auch deren Namen. So geschah es, wie vorhin bemerkt wurde, bei den alten Semiten, so bei den Römern, wie gleich noch ausführlicher zu zeigen sein wird, und so auch bei den Athenern, wenn sie den uralten Namen zñoes, mit dem die gefürchteten Todesdämonen bezeichnet wurden, auf die Seelen der Verstorbenen ausdehnten, die in den Kreis dieser Dämonen eingingen.

2. Die Geister der Toten und der Lebenden bei den Römern.

Ganz dasselbe, wie bei den Griechen und den Semiten, finden wir nun auch bei den Römern, nur mit der diesen eigenen schärferen Bestimmung und Unterscheidung der Begriffe, wodurch ihr Zeugnis für uns einen besonderen Wert bekommt.

Die gewöhnlichste Bezeichnung der gespenstig fortlebenden Toten ist im Lateinischen einfach mortui (vgl. Plaut. Most. 490 ff.), wie sie ja auch im alten Testament metim heißen, bei Homer vénves, und ähnlich bei anderen Völkern, auch bei den Primitiven. Wichtiger ist, daß der Verstorbene, welche Bezeichnung er auch immer erhalten mag, durchaus ,,Gott" ist. Nach altem Sakralrecht gibt Cicero de leg. II, 22 die Vorschrift: Nos leto datos divos habento (vgl. II, 35), und Plutarch, quaest. Rom. 14 berichtet aus Varro, daß der Sohn beim Sammeln der Gebeine des eingeäscherten Vaters sage, er sei ein Gott geworden. Ausdrücklich hat Varro in seinen Antiquitates rerum divinarum betont und bewiesen, daß alle Toten für dei zu halten seien (vgl. Augustin. De civ. D. VIII, 26). Die Kinder verehren ihre verstorbenen Eltern als di parentes, denen sie parentant, d. h. Totenopfer darbringen. In dem noch erhaltenen Brief an C. Gracchus schreibt die Mutter Cornelia: Ubi mortua ero, parentabis mihi et invocabis deum parentem. In eo tempore non pudet ・te eorum deum preces expetere, quos vivos atque praesentes relictos atque desertos habueris? Nach ihrem Tode also wird die Mutter (parens) eine Gottheit (deus) geworden sein (vgl. LEO, Literaturgeschichte, Anhang; und die zutreffenden Gegenbemerkungen von STANGL, Berl. philol. Wochenschr. 1913, 1532). Die di parentes (oder parentum) spielen im römischen Kulte eine große Rolle (vgl. WISSOWA, Religion und Kultus der Römer, 2. Aufl., 232 f.). Ihnen ist,,der Frevler gegen die heiligen Satzungen der Familie mit Leib und Leben verfallen" (Wissowa). Si parentem puer verberit, ast olle plorassit, puer divis parentum sacer esto bestimmte nach Festus S. 230 das Gesetz des Servius Tullius. In dieser Form also wurde die Verfluchung dessen, der sich tätlich an seinen Eltern vergriff, ausgesprochen. Diesen di parentum wurde das am 13. Februar beginnende Totenfest gefeiert, das nach ihnen den Namen dies parentales trug, wie

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das Totenopfer den Namen parentatio. Außerdem aber gibt es noch besondere Namen für die Geister der Verstorbenen. Diese sind offensichtlich von Todes- und Unterweltsdämonen auf sie übertragen worden, in deren Gemeinschaft der Tod sie hineinzieht und mit denen zusammen sie an den Tagen, wo die Unterwelt offen ist, ihren unheimlichen Besuch bei den Lebenden abstatten. Den Lemures, deren Name zweifellos die Vampyrnatur zum Ausdruck bringt er ist verwandt mit den gespenstigen lámai der Griechen und mit λauvoós, das,,gierig", ,,gefräßig bedeutet (vgl. GÜNTERT, Kalypso 134f.) wurde das Maifest der Lemuria gefeiert, das den dies parentales des Februar genau entspricht (vgl. WissowA a. a. O. 235). Am Schluß dieses Festes wurde den Lemuren der Aufenthalt im Hause wieder gekündigt (vgl. Varro bei Nonius S. 135), genau wie den xñoes am Ende der Anthesterien; und wie in Athen der Kerenname auf alle gespenstigen Wesen des Geisterfestes ausgedehnt worden ist, so verstand der Römer in der klassischen Zeit unter lemures überhaupt nur noch die Totengeister. greiflich genug, da sie ja unter der Gespensterschar für die einzelnen Familien weitaus die wichtigsten Gäste waren. Manes exite paterni lautet bei Ovid, fast. V, 443 der Abschiedsruf, und damit stimmen die Erklärungen des Namens bei Ovid selbst V, 483, bei Prophyrio zu Horaz epist. II, 2, 209 und in den Scholien zu Persius 5, 185 ganz überein. Mit den lemures hat man in der klassischen Zeit die laruae gleichgesetzt. Nach Paul. Fest. S. 87 gilt ihnen der Lemuralienbrauch. Es kann kein Zweifel sein, daß auch dieser Name ursprünglich eine allgemeine Bezeichnung für gespenstige Unholde gewesen ist. Auf die vielumstrittene Frage der Etymologie wollen wir uns hier nicht einlassen. Über den Begriff selbst gibt uns die Literatur hinreichende Auskunft. Die laruae werden den Totenseelen zu

weilen geradezu entgegengesetzt; so wenn Munatius Plancus über die Absicht des Asinius Pollio, mit der Herausgabe seiner gegen ihn gerichteten Schriften zu warten, bis er gestorben wäre, geäußert hat: cum mortuis non nisi laruas luctari (Plinius, Nat. hist. praef. 31), oder wenn in der Götterversammlung bei Seneca Apocoloc. 9, 3 der Antrag gestellt wird, künftighin jeden Verstorbenen, der zum Gott erklärt werde, den larvae zu überantworten. Bei Apuleius Metam. IX, 29 schickt die alte Hexe

einem, den sie umbringen will, eine larva vel aliquod dirum numen auf den Hals. An die gespenstigen Unholde denkt man auch, wenn larua als Schimpfwort gebraucht wird, was im römischen Volk von Alters her üblich war (vgl. Plaut. Cas. 592. Merc. 981. Petron. 44, 5). Besonders deutlich ist diese Auffassung in dem ebenfalls seit alter Zeit volkstümlichen Glauben, daß die Verrücktheit ein Werk der laruae sei, die von dem Menschen Besitz ergreifen. Ein solcher ist laruarum plenus (Plaut. Amph. 777), es heißt von ihm, daß ihn laruae stimulant (Plaut. Capt. 598), laruae atque intemperiae insaniaeque agitant (Plaut. Aul. 612). Und so wird er laruatus genannt (Plaut. fragm. 48. Amph. fragm. 6 und 8 Leo), genau wie die von der Ceres besessen und verrückt gemachten cerriti (vgl. Paul. Fest. S. 119 larvati furiosi et mento moti, quasi larvis exterriti und Non. S. 44 cerriti et larvati male sani et aut Cereris ira aut larvarum incursatione animo vexati; Gloss. V, 650 cerriti larvati, qui aut Cerere aut larva incursentur), und bei den Griechen die von den Nymphen besessenen vvupóληлτо. Von diesen nächtlichen Schreckgespenstern erhielt die Maske frühzeitig den Namen larva (Hor. Sat. I, 5, 64). Und zu ihnen wurden schon in alter Zeit die Toten gerechnet, ja man verstand bald unter dem Namen larva fast allein noch sie. Ein zum Gerippe ausgemergelter Mensch hat pallorem maciemque larualem (Priap. 32, 12); das Skelett heißt larva (Petron. 34, 8. Apul. Apolog. 63).

Genau so steht es mit dem in der Kaiserzeit gebräuchlichsten Namen der Toten: di manes. Mit diesem Namen, der „,die guten Geister" bedeutet (vgl. WISSOWA a. a. O. 238), werden zunächst alle dämonischen Bewohner des dunklen Reiches unter der Erde zusammengefaßt (vgl. WISSOWA 238 f.), die Jeoì xdóvioi des romulischen Gesetzes (Plutarch. Rom. 22). Unter ihren Schutz stellte man die Gräber, die ihnen geradezu als Eigentum übergeben wurden (vgl. WISSOWA a. a. O.). In spezieller Bedeutung sind di manes die Verstorbenen, und iura deorum manium die Pflichten der Lebenden gegen sie (Cicero de legibus II, 22). Die uns so vertraute Beziehung des Wortes auf einen einzelnen Verstorbenen, dessen Geist di manes genannt wird, kommt bekanntlich erst gegen Ende der Republik auf, um in der Kaiserzeit zur typischen Eigenart der Grabschriften zu werden, die fast regelmäßig mit der Weihung Dis Manibus illius (oder illi)

beginnen. Die älteste Inschrift dieser Art dürfte die noch aus republikanischer Zeit stammende C. I. L. XIV 2464 (= Dessau 880) sein: L. Caecilio L. f. Rufo, und an der Seite: dis manibus L. Caecili Rufi. Diese auf den ersten Blick seltsam anmutende Ausdrucksweise hat man durch verschiedene Hypothesen zu erklären versucht, die hier nicht im einzelnen erörtert werden sollen. Jeder Versuch, sie aus Gedanken und Ausdrucksweise der Gräberweihungen selbst abzuleiten, muß von vornherein aussichtslos sein, da ja doch die individuelle Geltung von di manes in der Literatur zu einer Zeit schon feststeht, in der die inschriftlichen Zeugnisse kaum beginnen. Schon Cicero in Pison. 16 kann von coniuratorum manes mortuorum sprechen; in der augusteischen Literatur aber, von Vergil und Livius an, ist die persönliche Verwendung dieses Ausdrucks so gewöhnlich, daß wir notwendig auf einen fest eingebürgerten Sprachgebrauch schließen müssen. Und dieser Sprachgebrauch läßt sich verhältnismäßig leicht erklären. Di manes ist die Bezeichnung einer Gesamtheit, nämlich der 9ɛoì x9óvioi, zu denen auch die Totenseelen gehören. Der Begriff verträgt keinen Singular. Einen deus manis kennt die lateinische Sprache erst in der philosophischen Spekulation der Spätzeit. Aber dieser uralte, eine große Gemeinschaft bezeichnende Plural ist in seiner Bedeutung frühzeitig derartig verblaßt, daß er für alles, was das dunkle Reich anging oder ihm angehörte, als Name dienen konnte 1). Ovid konnte das jenseitige Leben des Menschen damit bezeichnen, wenn er Trist. V, 14, 12 schrieb: non ego divitias dando tibi plura dedissem; nil feret ad manes divitis umbra suos. Und ähnlich sagt er Metam. IX, 407 von Amphiaraos, den die Erde lebendig verschlang: subductaque suos manes tellure videbit vivus adhuc vates. Es war gar keine besondere Kühnheit Vergils, wenn er manes für ,,Höllenstrafen" sagte, in dem berühmten Wort Aen. VI, 743 quisque suos patimur manes. So haben ihn auch die Alten verstanden (vgl.

1) Ähnlich, aber nicht so weit fortgeschritten, ist die Entwickelung des Begriffes végregor. Sophokles, Antigone 602 9ɛãv tāv vegtégwv nóvis, der auf die Leiche gestreute Staub. Usitatum est enim Graecis ea, quae consecrata sunt inferis, inferorum dicere" G. HERMANN. Besonders bemerkenswert ist ein Ausdruck wie τῶν κάτωθεν θεῶν νέκυς Soph. Antig. 1070f.

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