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welche Art der mathematischen Beschreibung auch zugrunde gelegt wird, und der Begriff des Apriori ist unwandelbar, falls man nicht einem fatalen Psychologismus anheimfallen will. Die,,besonderen Gesetze, weil sie empirisch bestimmte Erscheinungen betreffen", sind, ohne die Erfahrung zu Hilfe zu nehmen, nicht ableitbar. Die Frage nach der objektiven Gültigkeit synthetischer Urteile a priori löst Kant in der transzendentalen Ästhetik durch die Lehre von der empirischen Realität und transzendentalen Idealität von Raum und Zeit und andererseits in der transzendentalen Deduktion der Kategorien aus den Urteilsfunktionen. Daß nun Denkgesetze und Natur wirklich in Harmonie stehen, hat Kant bewiesen dadurch, daß er den einheitlichen Grund in dem Prinzip der synthetischen Einheit des Denkens aufdeckte. Die Gesetze der Natur sind die Gesetze der Erfahrung der Natur"); die ,,Analogien der Erfahrung" ermöglichen eine Erkenntnis der Natur überhaupt. Für den Physiker bleibt die Aufgabe, die besonderen Gesetze zu ermitteln.

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Es ist von Wichtigkeit zu wissen, daß Kant der reinen Naturwissenschaft einen Weg gewiesen hat, der auch heute noch gangbar und begangen ist: von den allgemeinen Prinzipien ausgehend mit Hilfe der Erfahrung, des Experiments, die speziellen Gesetze zu finden. Als erster hat wohl Galilei diese Art der Schlußweise in die Naturwissenschaft einzuführen gesucht. Es ist aber die Gültigkeit eines Naturgesetzes nicht von der mehr oder weniger großen Vervollkommnung des Experimentierens abhängig. So sagt Planck in seinem Beweis des zweiten Hauptsatzes der Wärmetheorie, daß die Grenzen des Satzes nur in der beobachteten

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1) Vgl. A. Riehl,,,Der philosophische Kritizismus, Geschichte und System". 2. Aufl. S. 559. Leipzig 1908.

Schneider, Raum-Zeit-Problem.

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Natur liegen können, nicht im beobachtenden Menschen, und daran ändert es nichts,,,daß wir uns zur Ableitung des Satzes menschlicher Erfahrung bedienen; das ist überhaupt der einzige Weg für uns, um zur Erkenntnis von Naturgesetzen zu gelangen"1).

Auch Einstein ist den gleichen Weg gegangen, auch er hat seine Theorie in dieser Weise vom Prinzipiellen ausgehend, an Hand der Erfahrung fortschreitend, geschaffen. Von dem Kausalitätsgesetz als einer,,Aussage über die Erfahrungswelt" geht er aus 2). Nur die bleibenden Beziehungen der Dinge, die Gesetzmäßigkeit der Natur, sind der Gegenstand jeder Naturwissenschaft. Die Arbeit des Physikers wäre eine vergebliche, ja sogar eine sinnlose, wollte er an dem Idealismus in,,rezipierter Bedeutung" festhalten. Auf dem kantischen transzendentalen Idealismus fußend aber kann die Naturwissenschaft aufbauen. Wenn man Kant nicht willkürlich und vorsätzlich mißverständlich interpretiert, sieht man auch die vermeintlich so scharfen Widersprüche zu den modernen relativistischen Ideen schwinden. Es war deshalb wichtig, die so oft miẞverstandene Lehre Kants von der Bewegung und vom absoluten Raum näher zu erörtern und ihre wesent

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1) M. Planck,,,Vorlesungen über Thermodynamik". Leipzig 1911. Dort heißt es weiter: sind sie einmal erkannt, SO müssen sie auch als selbständig anerkannt werden, soweit wir überhaupt davon reden können, daß ein Naturgesetz unabhängig vom denkenden Geiste Bestand hat; und wer dies leugnen wollte, müßte die Möglichkeit einer Naturwissenschaft überhaupt leugnen.“

2) A. Einstein,,,Die Grundlage der allgemeinen Relativitätstheorie". 1916. § 2, S. 9. Näheres über diesen methodischen Gesichtspunkt wird weiter unten an dem Beispiel des Aquivalenzprinzipes erläutert werden.

lichen Unterschiede von der Newtonschen Theorie klarzulegen. Zu dieser allerdings steht Einsteins Relativitätstheorie in vollkommenem Gegensatz (das wird sich im Laufe der Untersuchung herausstellen), mit dem Newtonschen Begriff des absoluten Raumes hat sie endgültig aufgeräumt, aber deshalb keineswegs mit dem kantischen.

4.

Naturphilosophische Betrachtungen in der nachkantischen Zeit.

Heinrich Hertz hat seinen,,Prinzipien der Mechanik"1) eine naturphilosophische Betrachtung über Raum, Zeit und Masse vorangeschickt. Man kann vollkommene Übereinstimmung mit Kant feststellen. Er erkennt die Gültigkeit synthetischer Urteile a priori an, sein erstes Buch enthält eigentlich nur solche. Scharf trennt er die philosophische Begriffsbildung von der physikalischen. Er unterscheidet die Sätze der Erfahrung von denen, die sich auf,,innere Anschauung" berufen und dementsprechend Mechanik von Geometrie und Kinematik. Der Raum des ersten Buches von Hertz' Mechanik ist ebensowenig meßbar, wie es Kants reiner Raum ist:,,Der Raum des ersten Buches ist der Raum unserer Vorstellung"). Was den Begriff der Meßbarkeit hineinträgt, ist die Erfahrung. Hier liegt die Grenze des Apriorischen. Um zu wissen, was Hertz mit,,innerer Anschauung" meint, soll dieser Ausdruck, der von Kant stammt, näher erläutert werden. Die rein formale Natur der ,,inneren

1) Heinrich Hertz,,,Die Prinzipien der Mechanik". Leipzig 1894.

2) Vorbemerkung zum 1. Buch.

Anschauung" wird am besten durch Beispiele begreiflich. Die,,Konstruktion von Begriffen" liefert uns ein solches. Kant definiert in seiner Streitschrift gegen Eberhard1): ,,Die Konstruktion eines Begriffes als Darstellung eines Begriffes durch die selbsttätige Hervorbringung einer ihm korrespondierenden Anschauung." Die reine, symbolische Konstruktion geschieht,,durch bloße Einbildungskraft einem Begriffe a priori gemäß". An einer Materie ausgeübte, empirische Konstruktion unterscheidet er scharf als technische von der reinen, schematischen. Nur sie fällt in den Bereich der inneren Anschauung. Noch klarer wird dies Beispiel, wenn man die Ausführungen Kants über den gleichen Gegenstand in der Kritik der reinen Vernunft heranzieht 2). Dort heißt es in der Unterscheidung mathematischer von philosophischer Erkenntnis:,,Zur Konstruktion eines Begriffes wird also eine nicht empirische Anschauung erfordert" oder ebenda:,,Einen Begriff aber konstruieren, heißt, die ihm korrespondierende Anschauung a priori darstellen." Es handelt sich nicht um ein Anschauen, sondern um ein „,Anschauendmachen nach dem Begriffe, ohne alle empirische Beihilfe". Was aus den allgemeinen Bedingungen der Konstruktion folgt, muß auch von dem Objekte des konstruierten Begriffes allgemein gelten. In diesem Sinne konstruiert die Arithmetik ebenso wie die Geometrie. So ist also Kants Lehre von der „,inneren Anschauung" zu verstehen, auf der Heinrich Hertz seine Kinematik aufbaut. Die Kinematik liegt der Mechanik zugrunde. Sie formuliert Gesetze, die aus einer Summe von Einzel

1),,Über eine Entdeckung, nach der alle neue Kritik der reinen Vernunft durch eine ältere entbehrlich gemacht werden soll." 1790. Akad. Ausg. Bd. 8, Anm. S. 191—192.

2) K. d. r. V. S. 741.

erfahrungen nicht ableitbar gewesen wären.,,Die allgemeinen Naturgesetze haben ihren Grund im Verstande, es sind logische Gesetze einer möglichen Erfahrung, die besonderen dagegen sind durch jene Verstandesgesetze unbestimmt gelassen"). Hertz hat mit tiefem Verständnis die philosophischen Grundlagen der Physik untersucht und die Begriffe: Raum, Zeit und Masse als die grundlegenden erkannt, deren fundamentale Bedeutung vor allem in ihrem Zusammenhang untereinander in der Einstein schen Relativitätstheorie in Erscheinung tritt.

Wieweit der Ideenkreis der positivistischen Schule für die Relativitätstheorie von Bedeutung war und die Beziehungen zur Machschen Philosophie im besonderen, sollen hier nicht erörtert werden. Nur eine für die Entwicklung des relativistischen Gedankens sehr bedeutsame Tatsache muß Erwähnung finden. An den Namen Machs knüpft sich das Verdienst, den Newtonschen Wasserglasversuch als unzureichend gekennzeichnet zu haben. Der Versuch Newtons lehrt nach Machs Auffassung nur,,,daß die Relativdrehung des Wassers gegen die Gefäßwände keine merklichen Zentrifugalkräfte weckt, daß dieselben aber durch die Relativdrehung gegen die Masse der Erde und der übrigen Himmelskörper geweckt werden"2). Der eine vorliegende Versuch müsse mit den übrigen uns bekannten Tatsachen in Einklang gebracht werden. (Ebenso sagt er von den Bewegungen im Weltsystem in bezug auf die ptolemäische und auf die kopernikanische Auffassung:,,Das Weltsystem ist uns nicht zweimal gegeben mit ruhender und mit rotie

1) Sagt Riehl in seiner Darstellung der transzendentralen Deduktion.,,Kritizismus“ 2. Aufl. S. 519.

2),,Die Mechanik in ihrer Entwicklung historisch-kritisch dargestellt". E. Mach, Leipzig 1908.

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