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Blume, die in unseren Tagen aus dem in der Grabesnacht der ägyptischen Pyramiden geborgenen Samenkorn duftend emporstieg, wird in ihr die früheste Vergangenheit lebensvoll aufblühen; aber zugleich wird sie als tönendes Memnonsbild einen neu aufgehenden Weltmorgen begrüßen. Ihre Epen werden Iliaden von den Kämpfen des ringenden Menschengeistes, Odysseen von seinen Wanderungen durch Finsternis und Licht, durch die Tiefen der Gräber und durch die höchsten Wunder der Sternenwelt sein. Allen Empfindungen, welche in der Brust der Lebenden und der Leblosen schlummern, wird sie Sprache leihen und in Gedanken, wie sie im kühnsten Geistesfluge noch kein Sterblicher gedacht, alle Abgründe des Weltalls ausmesssen.

Die Idee von einer solchen großen Dichtung der Zukunft hat offenbar Goethe vorgeschwebt, als er seinen zweiten Teil des Faust schrieb. Er hatte dabei nicht die volle Kraft seines Genius aufgewandt, um das Werk zur Vollkommenheit zu führen. Allein als Schöpfung seines gewaltigen Geistes, als Beleg für seine hohe Anschauung von der Aufgabe der Poesie ist es von unschäzbarem Wert. Gedanken groß wie Sonnen leuchten darin auf jeder Seite. Eine andere aus verwandtem Geist hervorgegangene Dichtung ist der Erlöste Prometheus" des großen Engländers Percy Bysshe Shelley. Auch dieses Werk leidet wie der zweite Teil des Faust an einer gewissen Nebelhaftigkeit und Unklarheit; aber beide Dramen sind von ungeheurer Bedeutung als Embryonen vollkommenerer Dichtungen ähnlichen Gepräges, welche erst die Zukunft zeitigen wird.

VI.

Dichtkunst und Liferafur Jahrtausende nach uns.

Jie glänzenden Aussichten, welche sich an Goethe's

Ausspruch über die Weltliteratur knüpfen, werden vielleicht Manchen illusorisch scheinen; sie werden dieselben vernichten wollen durch die Verkündigung, der Mate= rialismus werde in der Zukunft mehr und mehr alle geistigen Interessen zurückdrängen. Nicht nur die Poesie werde unter dem Räderrollen der Maschinen verhallen, sondern auch die Literatur überhaupt mehr und mehr brach gelegt werden, weil alle Anstrengungen der Menschen sich auf das Gewinnen von Reichtümern richten würden. Die Hauptliteratur der kommenden Jahrhunderte werde in Büchern mit den Rubriken „Soll und haben" bestehen. Allein solche Befürchtung ist völlig aus der Luft gegriffen. Das Braufen der Dampfrosse, die raftlose Thätigkeit der Arbeiter in den Werkstätten sind hoch zu preisen, weil sie die blinden Kräfte der Materie in den Dienst des Menschen zwingen, seinen Wohlstand mehren und es ihm möglich machen, sich geistiger Thätigkeit zu widmen; und die leztere wird wachsen, je mehr wir die Natur unterjochen. Daß

unter der ungeheuren Menge der Erdbewohner verhältnismäßig immer nur sehr wenige zu solchem höheren Berufe gelangen können, ist eine traurige Erwägung; allein es läßt sich nicht bezweifeln, daß in Zukunft deren Zahl sich fort und fort mehren und größer werden wird, als in irgend einem früheren Jahrhundert. Dieses zeigt sich schon heute, wo Handel und Industrie in ehedem ungeahntem Maße betrieben werden und sich doch nicht nur Männer, sondern neuerdings auch Frauen in stets größerer Anzahl den Studien und den Künsten widmen. Geschichtsschreibung, Altertumskunde, Philologie der todten wie der lebenden Sprachen, vor allem aber die Naturforschung stehen in sämmtlichen Hauptländern Europas in Flor, und auch da, wo bis vor kurzem die Wissenschaft durch politischen und religiösen Geistesdruck zurückgehalten worden, ist der Eifer, das Versäumte nachzuholen, mächtig erwacht. So wird denn die Poesie nicht ersterben; sie hat im sechzehnten Jahrhundert, während unaufhörlich Kriegsstürme Italien durchtobten und die Pest fast in jedem Dezennium einen Triumphzug von Stadt zu Stadt hielt, der ein Drittel der Bewohner hinwegraffte, in Blüte gestanden; die furchtbare Tyrannei Philipp's II. hat sie in Spanien nicht unterdrücken können; durch das Kettenrasseln und Hohngelächter des Pöbels, der sich um die Guillotine des Concordienplages drängte, ertönte ihre Stimme aus dem Munde André Chénier's. Nach dem brausenden Lärm des Tages, dem ruhelosen Drängen nach Erwerb erschließt sich fort und fort der Sternenhimmel über der Erde und zieht die Blicke der Sterblichen zu sich empor, und so lange dies alte und doch ewig neue Schauspiel währt,

so lange in jedem Jahre der Frühling mit Blütenduft und Vogelgesang wiederkehrt, wird es auch Menschen geben, die den Drang in sich fühlen, die Empfindungen ihres Herzens auszuströmen, den Gebilden ihrer Phantasie Gestalt zu leihen; und es wird nicht an Solchen fehlen, die als Hörer Ohr und Seele der schönen Kunst erschließen. Wohl mag es vorkommen, daß eine Zeit lang sich Stumpfsinn einer Generation bemächtigt; allein nach einer solchen traurigen Periode werden die geistigen Bedürfnisse immer wieder mit erneuter Kraft sich geltend machen. Ein glänzendes Beispiel, wie gerade beim gewerbefleißigsten Volke, wo das Maschinenwesen die höchste Ausbildung er reicht hat, solche höheren Interessen am meisten gepflegt werden, bietet das heutige England dar. Während seine Schiffswerften unter der Menge der dort gezimmerten Fahrzeuge ächzen, die von seinen Häfen aus alle Meere überdecken, während die Arbeiter seiner Kohlengruben das Innerste unserer Erdkugel ausschöpfen zu wollen scheinen, und in seinen Fabriken das Stampfen der dampfgetriebenen Werkzeuge nie verstummt, während zugleich die Politik mit ihren bewegten Parlamentsdebatten alle geistige Thätig= keit an sich zu reißen trachtet, widmen sich die leitenden Staatsmänner selbst mit Erfolg gelehrten Studien und schreiben, was wohl noch nirgends vorgekommen ist, die Chefs angesehener Bankhäuser, wie Grote und Lubbock, wissenschaftliche Werke von hoher Bedeutung. Zugleich aber wird der Poesie, und besonders der idealistischen, die regste Pflege geweiht.

Die Aspekte für die Dichtkunst und die Literatur überhaupt in der Zukunft sind sicher keine ungünstigen;

im Gegenteil, es ist anzunehmen, daß dieselben mit dem Fortschritte der Menschheit und im Wettstreite der Nationen mit einander immer höhere Stufen erklimmen werden. Allein nicht gleich hoffnungsreiche Aussichten, wie für das Ganze, möchten sich für die einzelnen Schriftsteller und Dichter eröffnen, insofern sie dauernden Ruhm, ja Unsterblichkeit für sich begehren. Wie die Zeitgenossen des Kopernikus alle ihre Begriffe vom Raum ändern mußten, als sie die Erde zu einem kleinen Punkte inmitten des Weltalls zusammenschrumpfen sahen, so können wir nicht mehr an unseren früheren Vorstellungen von der Zeit festhalten, seitdem wir die Vergangenheit der Menschen- und noch mehr die der Erdgeschichte sich in beinahe unausmeßbare Fernen verlieren gesehen haben. Die fast unendlich langen Perioden, die schon vor dem Erscheinen unseres Geschlechts auf der Erde hingeschwunden sind, die Jahrhunderttausende, während deren dasselbe diesen Planeten bereits bewohnt, verlangen, daß wir eine neue Zeitrechnung einführen. Nach aller Analogie läßt sich schließen, daß noch eine unabsehbare Zukunft vor der Menschheit liegt. Denken wir nun, wie wenige Jahrtausende erst vergangen sind, seit überhaupt eine Literatur existirt, und wie zahllose von den seitdem erschienenen Geisteserzeugnissen schon spurlos verschwunden sind, so müssen wir annehmen, daß in einer sehr fernen Periode auch noch Vieles von dem, was sich bisher behauptet hat, in Vergessenheit gesunken sein wird. Stellen wir uns den seit Homer oder den Dichtern der Vedas verflossenen Zeitraum nur verzehnfacht vor, so wird die Flut der Literaturerscheinungen so ungeheuer geschwollen sein, es wird die Masse des Späteren immer das Frühere

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