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Schliesslich mache ich darauf aufmerksam, dass an zwei Stellen des Hymnus auf Hermes noch ziemlich deutliche Spuren seiner ursprünglichen Bedeutung als Windgott vorliegen. Vers 18 heisst es:

ἑσπέριος βοῦς κλέψεν ἑκηβόλου Απόλλωνος

τετράδι τῇ προτέρῃ, τῇ μιν τέκε πότνια Μαΐα.

Wir erfahren daraus, dass der Diebstahl am vierten Tage des Monats stattfand, an welchem H. auch geboren gedacht wurde. 177) Fragen wir nun, woher diese Bedeutung des Tages im Mythus und Kultus des Gottes stamme, so ist auf den mehrfach bezeugten Volksglauben zu verweisen, dass der vierte Tag jedes Monats für Wind und Wetter entscheidend sei, d. h. wenn der vierte Tag stürmisch und regnerisch sei, so werde auch der übrige Theil des Monats stürmisch und regnerisch sein, und umgekehrt. So sagt z. B. Theophr. de sign. pluv. 8: ὡς δ ̓ αὕτως ἔχει καὶ περὶ τὸν μῆνα ἕκαστον· διχοτομοῦσι γὰρ αἵ τε πανσέληνοι καὶ αἱ ὀγδόαι καὶ αἱ τετράδες, ὥστε ἀπὸ νουμηνίας ὡς ἀπ' ἀρχῆς δεῖ σκοπεῖν, μεταβάλλει γὰρ ὡς ἐπὶ τὸ πολὺ ἐν τῇ τετράδι, ἐὰν δὲ μὴ ἐν τῇ ὀγδόῃ κ. τ. λ. x. t. 2. Dasselbe behaupten Vergilius und Plinius 178), und auch bei den modernen Nationen ist der Glaube weit ver

177) Natürlich war der Vierte deshalb der Geburtstag des Gottes, weil er an diesem Tage besonders verehrt wurde: vgl. Aristoph. Plut. 1128, Eccles. 1069, Plut. Symp. 9, 3 u. meine Bemerkung über die Bedeutung des Siebenten im Apollokulte Apollon u. Mars S. 24.

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178) Verg. Geo. I, 432: Sin ortu quarto namque is certissimus auctor - || Pura neque obtusis per coelum cornibus ibit, || Totus et ille dies, et qui nascentur ab illo || Exactum ad mensem, pluvia ventisque carebunt. Plin. n. h. XVIII, 348: Apud Varronem ita est: Si quarto die luna erit directa, magnam tempestatem in mari praesagiet etc. ib. 347: Cornua eius [lunae] obtusa pluviam, erecta et infesta ventos semper significant, quarta tamen maxime ... Si quartam orbis rutilus cingit, ventos et imbres praemonebit. Derselbe Glaube ist auch nach Plinius für Aegypten bezeugt. Vielleicht erklärt sich die Verehrung des Hermes am Neumond aus dem gleichen Einflusse, den dieser Tag auf Wind und Wetter haben sollte (Porphyr. de abstin. II, 16; Verg. a. a. O. 427; Plin. XVIII, 349). In Betreff der deutschen Wetterregeln verweise ich auf Wanders deu. Sprichwörterlex. V S. 213 -215 und 248 no. 14. Vgl. namentlich das S. 213 unter no. 108 angeführte Sprichwort:,,Wenn's Wetter im Neu[mond] nit ändert, so blybt's vier Wuche so."

breitet, dass gewisse Tage im Jahr das Wetter der Folgezeit bestimmen. Wenn also der Hymnus ausdrücklich hervorhebt, dass der Rinderdiebstahl am Vierten, d. h. dem gewöhnlichen Festtage des H., ausgeführt sei, so erklärt sich dieser Mythus wahrscheinlich aus der Bedeutung, die H. als Windund Wettergott hatte; denn der Vierte liess nach dem Glauben des Volkes etwa vorhandene Wolken für längere Zeit verschwinden.

Eine ähnliche uralte Anspielung auf das ursprüngliche Wesen des Gottes erblicke ich in Vers 145 u. f., wo es heisst: Διὸς δ' ἐριούνιος Ἑρμῆς

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δοχμωθεὶς μεγάροιο διὰ κλήιθρον ἐδυνεν,
αὔρῃ ὀπωρινῇ ἐναλίγκιος, ἠὔτ ̓ ὁμίχλη.

Was könnte bezeichnender sein für den wolkenstehlenden Windgott als der Umstand, dass er nach wohlvollbrachter That einem Herbstlüftchen gleich, wie ein Nebel durch das Schlüsselloch schlüpft? Später werden wir sehen, dass auch die windhauchartig gedachten Traumbilder gerade so wie die germanischen Maren durch's Schlüsselloch fahren (Od. § 802 u. 838, Simrock, d. Mythol. 2. Afl. 'S. 457). Solche Maren hat Mannhardt (Ant. Wald- u. Feldkulte S. 178 u. Germ. Mythen S. 712 f.) als Windgeister erwiesen.

Zu diesem wahrscheinlich ältesten Zeugnisse für den diebischen und räuberischen Charakter des H. gesellt sich noch eine lange Reihe anderer, so die Sagen von dem durch H. an Apollon und seiner Mutter begangenen Diebstahle der Pfeile 179) und der Kleider 180), von der Entführung der Alkmene nach den Inseln der Seligen (Ant. Lib. XXXIII), von der listigen Befreiung des von den Aloiden gefesselten Ares. Il. 24 fordern die Götter den Argeiphontes auf, dem Achilles den Leichnam des Hektor zu entwenden, und nach Apollod.

179) Hor. ca. I, 10, 7: Te boves olim nisi reddidisses || Per dolum amotas puerum minaci || Voce dum terret viduus pharetra risit Apollo. Diesen Mythus entlehnte Horaz wahrscheinlich dem Alkaios: vgl. Porphyrions Scholion zu diesem Gedichte fabula haec autem ab Alcaeo facta". Schol. II. Ο 256: ἀπειλοῦντος δὲ τοῦ ̓Απόλλωνος (= minaci voce dum terret) ἔκλεψεν αὐτοῦ καὶ τὰ ἐπὶ τῶν ὤμων τόξα. Philostr. im. I, 26 (= II, 331, 28 ed. Kayser).

180) Schol. Il. N 24.

II, 1, 3 befehlt ihm Zeus die Iokuh zu stehlen (κλέψαι τὴν βοῦν). Zahlreiche Beinamen beziehen sich auf diese Seite im Charakter des Gottes. So heisst er φηλητέων ὄρχαμος (hy. 175), ἀρχὸς φηλητέων (292), ἐλατὴρ βοῶν, ληϊστήρ (12), κλεψίφρων (413), φηλητῶν ἄναξ (Eur. Rh. 218 u. Co. I. 2229), φωρῶν ἑταῖρος (Hippon. fr. 1 Β.), βοῖκλεψ (Soph. fr. 927), jedenfalls mit Bezug auf die Entführung der Götterrinder. 181) Da die Diebe hauptsächlich in der Nacht oder am Abend an's Werk gehen 182), so wird er auch μελαίνης νυκτὸς ἑταῖρος (hy. 290), νυκτὸς ὀπωπητής (12), νύχιος (Aesch. Cho. 727) und, weil Diebe in der Regel ein scharfes Gesicht haben, um in der Nacht gut spähen zu können, ξΰσκοπος 183) genannt. Mit der Dieberei pflegt in der Regel List und Schlauheit gepaart zu sein, darum ist H. auch δόλιος, πολύτροπος, αἱμυλομήτης, ποικιλομήτης, δολομήτης, ἠπεροπευτής, δολοφραδής, callidus und tritt als Lügner und Meineidiger auf. 184) Auf Kerkyra war ihm wahrscheinlich der Monat Ψυδρεύς, welcher auf ein Fest des Η. Ψνδρός schliessen lässt, geheiligt 185), und von den als lügenhaft verschrieenen

auf.184)

181) Auf den Rinderdiebstahl bezieht sich ohne Zweifel auch das eigenthämliche Epitheton Κυνάγχης, das H. bei Hipponax führt. Vgl. Anton. Lib. 23: πρῶτα μὲν ἐμβάλλει ταῖς κυσὶν, αἳ ἐφύλαττον αὐτὰς [τὰς βοῦς], λήθαργον καὶ κυνάγχην und Hesych.: κυνάγχη τέχνη, μηχανή. οἱ δὲ τὸν διὰ χειρῶν δεσμόν.

182) Hy. in Merc. 66: ὁρμαίνων δόλον αἰπὺν ἐνὶ φρεσὶν, οἷά τε φῶτες || φηληταὶ διέπουσι μελαίνης νυκτὸς ἐν ὥρῃ. ib. 577: τὸ δ ̓ ἄκριτον ἠπεροπεύει νύκτα δι ̓ ὀρφναίην φῦλα θνητῶν ἀνθρώπων. ib. 299, Eur. I. Τ. 1026: κλεπτῶν μὲν ἡ νύξ τῆς δ ̓ ἀληθείας τὸ φῶς.

183) Ω 21: κλέψαι δ ̓ ὀτρύνεσκον ἐΰσκοπον Αργειφόντην. Ebenso ν. 109, α 38, η 137, hy. in Ap. 200, in Merc. 73, in Ven. 262. Apoll. Soph. 79, 27 erklärt: τὸν εὖ πάντα σκοπούμενον.

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184) Η. δόλιος Soph. Phil. 133, Ar. Thesm. 1202, Plut. 1157, Paus. VII, 27, 1, Corn. 16 (vgl. hy. in Merc. 66); πολύτροπος hy. in M. 11; ποικιλομήτης ib. 155; δολομήτης ib. 405; ήπεροπευτής, δολοφραδής hy. 283, αἱμυλομήτης ib. 11 (vgl. ausserdem ib. 162: μύθοισι κερδαλέοισι κ. 317: τέχνησίν τε καὶ αἱμυλίοισι λόγοισιν ἤθελεν ἐξαπατῶν Κυλλή νιος Αργυρότοξον), callidus Hor. ca. I, 10. Der alte Dichter der Phoronis sagte nach dem Etym Μ. von ihm Κέρδεσι κλεπτοσύναις τ' ἐξαίνυτο τεχνηέσσαις. Η. als Lügner und Meineidiger: by. in M. 261 f., 310, 368 f., 383.

185). Welcker, Götterl. II, 460. Preller, gr. M.2 I, 313, 5. Vgl. Hesych. s. v. ψυδρά ψευδή und ψυγρόν ψευδές.

Arabern ging später die Sage, dass sie Söhne des H. seien.186) Bei Hesiod (oya 67 u. 78) wird die Verschlagenheit, Lügenhaftigkeit und Dieberei der Pandora ebenfalls auf H. zurückgeführt. Ganz analog ist es zu erklären, wenn es von Autolykos, der als ein Muster von Dieberei und Meineidigkeit galt, heisst, er sei ein Sohn des H. gewesen. 187) Beachtenswerth ist es, dass derselbe gerade so wie sein Vater als Rinderdieb auftritt. 188) Auf Samos wurde dem H. xaqidaτns (Beuteverleiher?) ein eigenthümliches Opferfest gefeiert, bei dem es Jedem unbenommen war zu stehlen und zu rauben, wie Plutarch berichtet, zur Erinnerung an die 10 Jahre, in denen die Samier ihr Leben von Räuberei fristen mussten. 189) Nach einem Epigramm der Anthologie scheinen nicht bloss die Diebe, sondern auch die Vogelsteller in H. ihren Patron erblickt zu haben. 190) Einen eigenthümlichen Gegensatz dazu bildet die mehrfach bezeugte Sitte Statuen des Diebesgottes in Gärten und auf Weiden zum Zwecke der Abwehr von Obstund Rinderdieben aufzustellen. 191)

Zum Schluss weise ich noch darauf hin, dass derselbe Ausdruck, der von der Entführung gewisser Personen durch die raffenden Sturmwinde gebraucht wird, nämlich avagñágɛiv, auch im homerischen Hymnus auf Aphrodite vom H. gilt, da Aphrodite zum Anchises sagt, sie sei eine Nymphe, die H. aus dem Chor der Artemis geraubt habe. 192) Aus diesen Worten lässt sich ohne grossen Scharfsinn schliessen, dass

186) Strabo I, 42; Babr. fab. 57; Euseb. pr. ev. 22.
187) Od. XIX, 395; Tzetzes z. Lycophr. 344.

188) Vgl. Preller, gr. Myth.2 I, 305, 1.

189) Plut. Q. Gr. 55: Διὰ τί τοῖς Σαμίοις, ὅταν τῷ Ἑρμῇ τῷ χαριδότῃ θύωσι, κλέπτειν ἐφεῖται τῷ βουλομένῳ καὶ λωποδυτεῖν; Ὅτι... ἀπὸ λῃστείας δέκα ἔτη διεγένοντο.

190) Anthol. gr. ed. Jacobs I, 223, XII.

191) Anthol. gr. ed. Jacobs II, 227, LV; I, 234, LVI; I, 227, XXVII. 192) Hy. in Ven. 117: νῦν δέ μ' ἀνήρπαζε χρυσόρραπις ̓Αργει φύντης || ἐκ χορου Αρτέμιδος. Vgl. Il. Π 181 f. und Eur. Hel. 44: λαβὼν δέ μ ̓ Ἑρμῆς ἐν πτυχαίσιν αἰθέρος | νεφέλῃ καλύψας, οὐ γὰρ ἠμέλησέ μου | Ζεύς, τόνδ ̓ ἐς οἶκον Πρωτέως ἱδρύσατο und Ion 1598: ἀρπάσαντ ̓ ἐς ἀγκάλας | Ἑρμῆν κελεύει δεῦρο πορθμεῦσαι βρέφος. Vgl. auch die von Müller, Hdb. d. Arch. § 381, 6 angeführten Bildwerke, welche H. als Liebhaber der Nymphen darstellen.

Roscher, Hermes.

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H. öfters als Liebhaber und Entführer der Nymphen, und zwar der Waldnymphen - denn diese gehörten vorzugsweise dem Chor der Artemis an gedacht wurde. In dieser Beziehung lässt er sich den ebenfalls mit Dryaden buhlenden Silenen, Panen und Faunen vergleichen, die im Windeshauche zu werben scheinen. 193)

Kapitel IV.
A.

Der Wind als göttlicher Sänger und Musiker.

Ausserordentlich weit verbreitet ist die Anschauùng, dass die Winde musikalisch seien, weil durch sie oft Laute hervorgebracht werden, die mit den Tönen gewisser Blasinstrumente oder mit der menschlichen Stimme einige Aehnlichkeit haben. Hin und wieder wird das Rauschen des Windes sogar mit dem Tone der Leier oder Harfe verglichen. Bekannt ist es, dass wenn die Maruts, in denen wir jedenfalls Windgötter zu erblicken haben, durch die Luft dahinbrausen, eine wundersame Musik erschallt, die sogar zu ihrer Auffassung als Flötenspieler Veranlassung gegeben hat. Vgl. Rigv. V, 52, 12:,,Lied singend, hüpfend tanzten sie || Her zu dem Born die jubelnden." Ebenda V, 52, 1: „Auf, Çjavaaçva, stimme kühn | In den Gesang der Maruts ein, || Die treugesinnt aus eigner Lust || Des Ruhms sich freu'n, die heiligen." V, 41, 6

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193) Dieser Vorstellung liegt der Gedanke zum Grunde, dass das Geflüster des Windes in den Zweigen der Bäume der Ausdruck seiner Liebe zu diesen sei. Vgl. die Anmerkung von Fritzsche zu Theocr. id. I, 1 S. 14 der grossen Ausgabe. Ueberhaupt gilt der Wind für verliebt und buhlerisch: Schümann, Progr. d. Thomasschule in Leipzig 1876 S. 20. Wenn nach einem platonischen Epigramm Pan mit seiner Syrinx die Baumnymphen und Quellnymphen zum Tanzen bringt, wenn er die Pitys, die personificierte Fichte, geliebt haben soll, so ist deutlich zu erkennen, wie man im Sausen des Windes, der die Bäume tanzen macht, seine Gegenwart spürt. Dann buhlt er, gleich Faunus, um die Dryaden, woher er auch, gleich sonstigen Waldgeistern, als lüstern, geil, befruchtend ... geschildert wurde." Mannhardt, Ant. Wald- u. Feldkulte S. 131. Vgl. auch M. Müller, Essays II, 142. Welcker, Götterl. II, 666 f. Mannhardt a. a. O. 170 f.

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